Schulgewalt: Lehrerhinrichtung im Internet
Polizei- und Lehrergewerkschaft fordern einen Verhaltenskodex an Schulen, um das Mobbing von Pädagogen im Netz zu unterbinden.
Eine Trickfigur läuft langsam durch den Raum. Oben aufmontiert: Der Kopf eines Lehrers für Latein und Religion an einem bayerischen Gymnasium. Plötzlich erscheint aus dem Off eine Pistole: peng, ein Schuss knallt. Blut spritzt, der Kopf des Lehrers fällt zu Boden. Auf dem Bildschirm erscheint die Nachricht: "Zum Tode verurteilt." Unterlegt ist die Szenerie mit Musik von den Böhsen Onkelz.
Dieses Video war vor einiger Zeit auf YouTube zu sehen. Es ist eine extreme Form des Internet-Mobbings, international unter "Cyberbullying" bekannt, das auch in Deutschland neuerdings zum Problem wird.
Zwar haben Schüler ihren Lehrern immer schon Streiche gespielt - beispielsweise mit Reißzwecken auf dem Stuhl oder Karikaturen an der Tafel. "Das spielte sich aber im Klassenraum ab, und die Schuldigen waren bekannt und wurden bestraft", sagte Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), gestern auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Heute gebe es durch das Internet aber neue technische Möglichkeiten, Lehrer zu diffamieren - anonym und ohne, dass die Betroffenen davon wissen. Und: Die Schüler machen auch Gebrauch von diesen Möglichkeiten. Er forderte daher gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, einen besseren Schutz von Lehrern gegen das Internet-Mobbing.
"Viele Schüler wissen nicht mehr, was sie dürfen und was nicht", sagte Thöne weiter. Er sprach sich daher für einen neuen Verhaltenskodex aus, den Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam an ihren Schulen vereinbaren sollen.
GdP-Chef Konrad Freiberg setzte auf Aufklärung. Schülern müsse deutlich gemacht werden, dass auch psychische Gewalt geächtet werde. Sie müssten lernen, was strafbar sei und dass die einschlägigen Gesetze sehr harte Strafen vorsehen.
Extremfälle wie das Hinrichtungsvideo sind aber zum Glück sehr selten. Schon häufiger zu sehen sind Aufnahmen aus dem Unterricht, die Schüler mitgeschnitten haben. Gibt man auf YouTube die Stichwörter "Lehrer" und "Unterricht" ein, bekommt man etwa 130 Treffer angezeigt. Nicht immer sind bei den angezeigten Videos die Grenzen zwischen freier Meinungsäußerung und Demütigung klar zu bestimmen. "90 Prozent dieser Videos sind harmlos", schätzte Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. Auf einem Video sieht man beispielsweise eine Szene aus dem Biologie-Unterricht. Ein Schüler liegt vorne auf dem Pult. Der Lehrer steht dahinter, zeigt mit den Armen auf manche Körperstellen. Offenbar erklärt er gerade etwas über den menschlichen Körper. Ein anderes Video, auch auf YouTube, dürfte dagegen zu den 10 Prozent gehören, die die Grenze zum Mobbing überschreiten. Diffamierend ist vor allem die Unterzeile: "Ich filme meinen fetten Lehrer wie er redet und meine Mitschüler überhaupt nicht aufpassen", steht da. In dem kurzen Filmchen ist der Lehrer zu sehen, wie er übers Pult gebeugt etwas aufschreibt, und Schüler, die feixen.
Bekannt geworden ist zuletzt auch die Seite spickmich.de, auf der Schüler ihre Lehrer bewerten können. Vielen Lehrern passt das nicht; sie fühlen sich dadurch in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Kölner Landgericht entschied aber vor kurzem, dass die Bewertung von Lehrern unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Im Bereich der Berufsausübung müsse man sich öffentlicher Kritik stellen." GEW-Schulexpertin Marianne Demmer riet daher den Lehrern, eine Feedback-Kultur an ihren Schulen einzuführen. "Wenn die Schüler direkt die Möglichkeit haben, zu sagen, was am Unterricht gut oder schlecht ist, steigt die Hemmschwelle", meinte sie und forderte die Lehrer zu einem professionellen Umgang mit dem Problem auf.
Internet-Mobbing beschränkt sich aber nicht auf die alte Frontstellung zwischen Schülern und Lehrern. In einer Studie aus Großbritannien äußern die betroffenen Lehrer - immerhin 17 Prozent - den Verdacht, dass hinter zwei Dritteln der Cyberattacken Vorgesetzte und Kollegen stecken.
Auch Schüler sind von der neuen Form des Mobbings betroffen. Mieke Senftleben, Bildungspolitische Sprecherin der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, weiß von einem Fall, der sich im Juni an einer Schule in Berlin ereignete. Dort filmten Schüler, wie sie einen Klassenkameraden bedrängen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht