: Schule, so spielerisch
■ Schulalltag. Was denken Schüler, Lehrer und Eltern über ihre Waldorfschule? Eine kleine Umfrage in Berlin
Ich finde gut, daß man bis zum Abitur nicht so einen Druck wie auf der staatlichen Schule verspürt. Bis zur 7. Klasse war ich auf einer öffentlichen Schule. Die handwerklichen Fächer wie Tischlern, Buchbinden, Handarbeit, Schnitzen, Malen und so weiter fand ich gut. Davor hatte ich immer gedacht, ich sei praktisch unbegabt. Die Lehrer schweben aber zum Teil wie die Elfen herum. Plötzlich steht man auf der Bühne und soll sich zur Musik bewegen. Das ist so wie in einer Traumwelt. Da findet man sich in der Realität schwerer zurecht. Auf dem Schulhof gab es sehr oft Schlägereien. Das lag, glaube ich, daran, daß man den Kindern auch diese Waldorfphilosophie aufzwingen wollte. Z.B. keine Computer, kein Fernsehn und so. Da bekam man ein richtig schlechtes Gewissen, wenn man das doch tat. Der Druck, der dadurch entstand, entlud sich in Aggressionen unter den Schülern.
Abiturient 1994, 21
Von der Waldorfschule bin ich total begeistert. Ich bin die ersten sieben Schuljahre auf eine Waldorfschule gegangen. Gut fand ich vor allem, daß es keine Noten gab und so viel praktisch gearbeitet wurde. Wenn wir zum Beispiel in Erdkunde Griechenland durchgenommen haben, haben wir gleich ein bißchen die griechische Schrift oder griechische Gedichte gelernt. Man war nicht so auf dem Lerntrip wie an der öffentlichen Schule. Das Lernen lief mehr so nebenbei, ohne so viel Streß, und trotzdem waren wir auf der Waldorfschule genauso weit wie die anderen Schulen. Überhaupt, das Künstlerische hat mir total gut gefallen, Werken, Orchester und so. Eurythmie vor allem war lustig. Und Theater spiele ich jetzt noch. Leider war das Klima in meiner Klasse nicht so gut. Und außerdem fehlten ständig so viele Lehrer, daß zum Beispiel Musik oder Orchester ausfallen mußten.Friederike, 15,
Ex-Waldorfschülerin, 8. Klasse
Ich mag die Schulhoftiere und die Pflanzen und Sträucher an meiner Schule. Der Hort ist auch gut. Und die Klassenlehrerin, weil man bei ihr im Unterricht lernen kann. Turnen auf dem Spielplatz ist prima, aber auch Russisch, Englisch und Rechnen. Aber die Lehrer schimpfen immer, wenn wir Fußball spielen wollen. Das dürfen wir nicht, weil es die Kinder aus dem Unterricht schreckt. Aber wir machen's trotzdem. Das Essen ist auch nicht gut, so ölig und fettig. Und ich finde, die Lehrer sollten genauer hingucken, wer im Unterricht Mist macht.
Leon, 9, 2. Klasse
Ich finde schön, daß es an der Waldorfschule keine Zensuren gibt. Man muß nicht so hart arbeiten, hat weniger Hausaufgaben. Weil man von Anfang an Sprachen lernt, wird man viel geübter. Und wir lernen spielerisch, nicht so mit viel Pauken. Na ja, komisch sind die „Waldis“. So nennen wir die Rudolf- Steiner-Typen mit den Wollsachen und den Birkenstocks. Die Schüler fahren gar nicht darauf ab, finden das stickig. Ein bißchen seltsam sind manche Sachen wie die Morgensprüche und das Flötenspiel in der unteren Klasse. Sprachen sollten wir noch intensiver lernen. Anna, 14, 8. Klasse
Man kann sehen, was im Laufe der Zeit an pädagogischen Veränderungen nötig wird. Zum Beispiel haben wir einen neuen Typ Praktikum eingeführt: Arbeit auf dem Bauernhof, in Verbindung mit Drogenprävention. So etwas beeindruckt Schüler doch auf ganz andere Art. Die pädagogischen Freiheiten sind bei uns sehr viel größer als an staatlichen Schulen. Dadurch kann man flexibler Neuerungen einführen. Problematisch finde ich die Überlastung der Lehrer. Oft fehlt auch Effektivität in der Selbstverwaltung. Die Sachen werden dann fünfmal durchgekaut statt einmal in der großen Runde.
Michael Benner, 40,
Geschichte und Geographie
An Waldorfschulen haben die Lehrer größere Freiheit in der Unterrichtsgestaltung. Denn ich habe nicht den gesamten Curriculumsapparat hinter mir. Manchmal wünsche ich mir einen Direktor, der entscheidet. Die Entscheidungsprozesse dauern mühsam lang. Ich würde gerne die Zulassung zum Abitur ändern. Denn das Abitur bereitet in keiner Weise auf das Berufsleben vor. Das hört man auch immer wieder aus der Wirtschaft. Letztendlich ist es nur ein Nachbeten von Auswendiggelerntem. Dieter Kuhs, 42,
Deutsch und Geschichte
Die Schüler erleben den Unterricht anders, als wenn ein Beamter vor ihnen steht. Wir erproben künstlerischen Unterricht in allen Fächern, zum Beispiel in Mathematik. Ich würde einen Bildungsgutschein einführen, mit dem Eltern die Schule ihrer Wahl für ihre Kinder finanzieren können. Die Wahl der pädagogischen Richtung dürfte nicht am Geld scheitern.
Cornelia Delleske, 38,
Kunstgeschichte
Der Unterricht ist individuell und nicht ausschließlich auf die Bedürfnisse des Staates und der Wirtschaft zugeschnitten. Die individuellen Fähigkeiten der Schüler werden hier mehr gefördert. Die Eltern sollten sich stärker an der Selbstverwaltung der Schule beteiligen.
Ingrid Krause, 42,
zwei Töchter in der 9. und 11. Klasse
Wir haben unsere Tochter auf eine Waldorfschule geschickt, weil wir nach unserer DDR-Erfahrung die autoritäre Einheitsschule ablehnen. An der Waldorfschule haben uns die künstlerischen Schwerpunkte, die praktische Vermittlung der Lerninhalte und die soziale Integrationsfähigkeit der Klassen gut gefallen. Die Praxis hat allerdings ihre Tücken. Nach der Maueröffnung wurden viele Lehrer für die Neugründungen in den neuen Bundesländern abgezogen. Das ging auf Kosten der Schüler. Die Sprachausbildung ließ auch zu wünschen übrig. Nach fünf Jahren konnte unsere Tochter nichts außer auswendig gelernten Texten. Auch unterstützte die Schule nur eine bestimmte Form von Kreativität. Das Engagement der Eltern war durchaus gewünscht, und das war auch gut für alle Beteiligten. Wenn sie jedoch das Konzept der Schulleitung verließen, wurden Eltern gebremst.
Waldemar Nattge, 40,
seine Tochter war sieben Jahre
lang auf einer Waldorfschule
An der Waldorfschule finde ich gut, daß sie sehr auf einzelne Persönlichkeiten eingeht. Und natürlich die Möglichkeit zur Ganztagsbetreuung. Aber insgesamt ist mir die Schule zu sehr ideologisch geprägt. Das zeigt sich an Kleinigkeiten, diese Weichheit und christliche Aufgesetztheit der Lehrer. Schon dieses Weltfremde, das ganze Holzspielzeug, die Verdammung des Fernsehns. In der Praxis spielt das allerdings keine große Rolle. Doch die Kinder werden in eine bestimmte Richtung gedrängt, die Welt zu sehen. Schon diese ganzen Morgen- und Essenssprüche. Außerdem kann mein Sohn mit neun Jahren noch nicht lesen und schreiben. Ich finde auch nicht gut, daß die Schule Kinder, die aus den gewünschten Verhaltensnormen rausfallen, nicht mehr fördert, sogar hinausdrängt. Die Waldorfschulen sollten sich nicht so abschotten. An der Waldorfschule meines Sohnes entspricht kaum etwas der Berliner Realität: Es gibt keine Türken zum Beispiel.
Rolf Püttler, 34, ein Sohn in der
2. Klasse der Waldorfschule
Die Pädagogik trägt auch den seelischen Entwicklungen Rechnung. Körper, Geist und Seele werden gleichermaßen beachtet. Den Matheunterricht dagegen finde ich weniger gut. Die Lernniveaus sind sehr unterschiedlich. Für die, die es schon längst kapiert haben, ist das ein Nachteil. Gerade wenn es auf das Abitur zugeht. Die Lehrer sind zu sehr belastet. Das hängt mit der Gremienarbeit und der Selbstverwaltung zusammen. Irgendwo sind sie alle überlastet. Sie haben ja auch den Anspruch, ihren Unterricht einmalig zu gestalten.
Sabine Thibes, zwei Söhne in der 10. und 12. Klasse
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