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Schuldenkrise in der EUAlle reißen die Euro-Stabilitätskriterien

Hohe Staatsverschuldung und Defizite sind in der Eurozone ein Gemeinschaftsphänomen. Droht nun ein Flächenbrand in Europa?

2010 wird kein Euro-Land das Defizitkriterium von drei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) einhalten. Bild: dpa

BERLIN taz | Wenn sich die Bundesregierung mit ihren Plänen schon durchgesetzt hätte, käme die EU-Kommission aus dem Blaue-Briefe-Schreiben nicht heraus: Ein von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorgelegter Entschließungsantrag für ein Reformkonzept der Eurozone sieht vor, dass die Haushaltspolitik der Eurostaaten künftig rigoroser von Brüssel aus kontrolliert werden soll.

Bei Verstößen drohen Bußgelder, bei Zahlungsunfähigkeit auch der Entzug der Stimmrechte in der Eurogruppe. Nach dem Wirtschaftsausblick, den die EU-Kommission am Mittwoch vorstellte, müssten sich da alle Euroländer auf Ärger einstellen: 2010 wird keines das Defizitkriterium von drei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) einhalten, und nur Luxemburg, die Slowakei, Slowenien, Finnland sowie Zypern bleiben mit ihrer Staatsverschuldung unter der Höchstgrenze von 60 Prozent ihres BIP.

Der Hintergrund ist klar: In der Finanzkrise sprangen die Staaten ein, retteten die Banken und investierten Milliardenbeträge, um die Konjunktur zu stimulieren. Zugleich verzeichnen sie wegen der Rezession deutliche Steuerausfälle. Im Schnitt stieg die Staatsverschuldung der Euroländer auf 84 Prozent des BIP, wobei Griechenland, Italien und Belgien mit einem Schuldenstand von jeweils mehr als 100 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung die Spitze bilden. Aber auch Deutschland liegt mit 76,7 Prozent deutlich im roten Bereich.

Noch ärger steht es um die Haushaltsdefizite, also die Neuverschuldung. Sie soll 2010 im Schnitt auf 7,2 Prozent steigen. Das wäre dreimal so viel wie noch 2008. Dabei wird sich Griechenland nach Ansicht der EU-Experten immerhin von einem 13,6-Prozent-Minus 2009 im laufenden Jahr auf ein Defizit von 9,3 Prozent hocharbeiten.

Droht nun ein "Flächenbrand in Europa", rutschen andere Staaten in die gleiche Krise wie Griechenland, wie EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn warnte? Die Länderprofile lassen hoffen: Irland kann auf starke Exportkraft setzen. Spanien hat zwar ein hohes Defizit, aber die Staatsverschuldung liegt deutlich unter dem Euroländer-Schnitt, Portugal erreicht ihn knapp und hat bereits ein anspruchsvolles Sparprogramm auf den Weg gebracht.

Italien verzeichnet seit Jahren hohe Primärüberschüsse, nimmt also genug Geld ein, um nicht nur laufende Ausgaben, sondern auch Zinsen zu finanzieren. Mit diesen Stärken sollten sich die Länder selbst sanieren können - wenn sie nicht über die Finanzmärkte niederspekuliert werden.

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6 Kommentare

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  • D
    dieLINKE

    es geschieht doch alles zu unserem wohl .

    der euro verfällt, aus der union werden wieder jene nationalstaaten, die primär ihre eigeninteressen in den mittelpunkt der politik stellen . ein neuanfang : zurück in eine bessere zukunft und aufbruch in einen neuen zeitgeist. dauer-vergangenheitsbewältigung, internationaler humanismus, armenzuwanderung,bedingungsloser wohlstand sind dort überkommenes .weg von der utopie und hin zur realität des lebens.

    allen lesern der TAZ ein beschaulichen tag wünschend

     

    dieLINKE

  • R
    Ron777

    Bald haben wir ganz andere Probleme, die auch Deutschland wieder in den tiefsten Sumpf reißen werden: Denn jetzt soll Deutschland auch noch für die Rettungspaketteile aufkommen, die eigentlich andere Länder für die Griechen bereit stellen sollten. Und unsere Regierung ist nicht mal Willens, das deutsche Volk und die Opposition darüber zu informieren!

     

    So sieht das Rettungspaket also wirklich aus: Alle Euro-Südländer fordern zunächst Solidarität für Griechenland und verunglimpfen Deutschland als Zögerer und Mitverantwortlichen der Krise. Dann vereinbaren alle, dass die über 100 Mrd. Euro an Hilfskrediten nachrangig abgesichert werden, bei einer Staatstpleite oder Umschuldung von Griechenland in den nächsten Jahren also faktisch futsch sind. Jetzt kommt raus, dass die fordernden Südländer sich selbst aber an der Rettungsaktion am liebsten gar nicht beteiligen wollen. Der Trick: Sollten sie im eigenen Land höhere Marktzinsen bezahlen müssen als ihr ausgeliehenes Geld an Griechenland bezinst ist, brauchen sie sich gar nicht an den Maßnahmen beteiligen. Deutschland und die wenigen anderen solide finanzierenden Eurostaaten müssten ihren Anteil schultern. Damit steigt der deutsche Anteil dann schnell auf 40 bis 50 Mrd.

    Sind wir wahnsinnig, durchgeknallt und vom Schwachsinn befallen, dass wir sowas überhaupt ernsthaft diskutieren???

  • L
    Linksfaschist

    Tja, das kann sich doch jeder ausrechnen, was das bedeutet. Mindestens eine hohe Inflation, im Extremfall aber auch

    ein Auseinanderbrechen der Eurozone.

     

    Stellen Sie sich vor, in einer großen WG mit einer "solidarischen" Gemeinschaftskasse lebt jeder über seine Verhältnisse, erwartet aber gleichzeitig, dass die Gemeinschaft im Notfall für seine Schulden einspringt.

     

    Sanktionen gibt es quasi nicht, man hat schon vorher festgelegt, dass man niemandes Mietvertrag kündigen werden kann. Da kann einem ja schlecht werden...

  • MS
    M. S.

    *lach*

     

    Ist ja prima: Bußgelder für die, die eh kein Geld mehr haben - und wenn sie dann nicht zahlen können: kein Stimmrecht mehr.

     

    Am Ende wird die EU dann von Luxemburg und Zypern geleitet oder löst sich gleich ganz selbst auf.

  • JK
    Juergen K

    @ von von mth

     

    meinen Sie mit "53 jährigen Rentnern"

    die ehemaligen Telekom und Postbeamten, die mit 45 Jahren verrentet wurden ?

  • B
    Bankster

    Schade, das hätte ein sehr guter und sachlicher Artikel werden können, wenn der Autorin dann nicht doch noch reflexartig der letzte Satz rausgerutscht wäre.

    Finanzmärkte sind kein handelndes graues Etwas. Auf dem Finanzmarkt treffen Millionen von Informationen und Meinungen von Individuen aufeinander, und zwar politisch unverfälscht und ideologiefrei. Darin unterscheiden sich Finanzmarktinformationen von denen, die uns Politiker und Medien liefern.

    Und genau deswegen hatte die Preisbildung auf Finanzmerkten das wahre Ausmaß des griechischen Defizits schon lange offenbart als die Politik noch an falsche Haushaltsstatistiken glaubte und die Medien von wilden Spekulanten sprachen.