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Schuften für den guten Kaffee

In Brasilien arbeiten viele Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen auf Plantagen, wo Premiumkaffee für den Export angebaut wird. Der Staat geht dagegen nur halbherzig vor und lässt viele Großbauern mit milden Strafen davonkommen

Arabica-Kaffeebohnen, angebaut im „Kaffee-Bundesstaat“ Minas Gerais in Brasilien Foto: Depositphotos/imago

Aus Minas Gerais Knut Henkel

Jorge Ferreira tritt auf die Bremse, lenkt den schwarzen Mittelklassewagen vorsichtig an den Straßenrand und wendet. Ein paar hundert Meter zurück geht es bis zu dem kleinen Feldweg, der in das von Kaffeesträuchern gesäumte Tal nahe der Kleinstadt Itamogi führt. „Da unten habe ich einen alten Bus gesehen. Da könnte eine Kolonne im Einsatz sein“, meint sein Beifahrer Robson Wilian.

Es ist Mitte August, die Kaffeeernte in Minas Gerais geht langsam zu Ende. Der Bundesstaat, nur ein paar hundert Kilometer von der Megametropole Sāo Paulo entfernt, ist die wichtigste Anbauregion für hochwertigen Arabica-Kaffee in Brasilien. Jorge Ferreira, Robson Wilian und ihre Kollegin Elisabete Vitor da Costa sind während der seit Anfang Mai laufenden Ernte der knallroten Kaffee­kirschen regelmäßig in und um Kaffeestädte wie Itamogi, Franca oder Poço Fundo im Süden von Minas Gerais unterwegs.

Das engagierte Trio arbeitet für die Gewerkschaft Adere MG, die Vereinigung der Landarbeiter von Minas Gerais. Die Männer sind auf der Suche nach Kaffee-Pflücker:innen, die unter inhumanen Bedingungen auf den weitläufigen Kaffeefeldern ausgebeutet werden.

Die Kaffeefelder dominieren die Landschaft. Kaffeebüsche erstrecken sich in langen, geschwungenen Reihen über Hügel und Täler auf Höhenlagen zwischen 1.000 und rund 1.300 Metern über dem Meeresspiegel rund um die Gemeinde Itamogi. Jorge Ferreira dos Santos hat für die markante Kaffee-Landschaft allerdings keinen Blick übrig.

Langsam steuert der Afrobrasilianer mit den raspelkurzen Haaren und der schmalen Sonnenbrille den Wagen den Feldweg hinunter – bis ein paar hundert Meter voraus ein weißer Bus im Schatten einer Palme auftaucht. „Rurais“ steht auf der Anzeigentafel über der Frontscheibe, was so viel wie „ländlich“ bedeutet. „Solche alten Busse dienen dazu, Land­ar­bei­te­r:in­nen aus dem Norden zur Ernte hierher zu bringen, sind aber auch Anlaufpunkt während der Pausen auf dem Feld“, erklärt Wilian, ein bärtiger Endzwanziger. Er ist als Beifahrer Ferreiras dafür verantwortlich, die Augen aufzuhalten nach Erntekolonnen. Nebenbei scannt er die Hinweisschilder zu den Kaffee-Fazendas, den Kaffee-Farmen, und wenn das Trio fündig geworden ist, sucht er den Kontakt zu den männlichen Kaffeepflückern. Vitor da Costa kümmert sich um die Frauen.

Ferreira hält im Schatten mehrerer Reihen von Kaffeebüschen, steigt aus und nimmt Kurs auf den Bus, während Wilian und Vitor da Costa zwischen den gut zwei Meter hohen Kaffeebüschen verschwinden – auf der Suche nach Pflücker:innen. Gut eingespielt sind die drei, wissen, was zu tun ist, und Vitor da Costa steht bereits wenige Minuten später mit zwei Frauen zwischen den Kaffeesträuchern, informiert sich über deren Arbeitsbedingungen, den vereinbarten Lohn und tauscht Telefonnummern für den Notfall aus. Der erste Eindruck ist jedoch eindeutig: Hier geht es sauber zu. Das bestätigt auch Kollege Wilian, der zwei Pflücker gesprochen hat.

Ferreira wiederum lehnt entspannt am Bus und spricht mit dem Arbeitsvermittler der Pflücker:innen, der bereitwillig Auskunft gibt. Kein Zufall, denn die beiden kennen sich schon von früheren Treffen und wenig später tauchen auch die Frauen und Männer der Kolonne auf: Es ist 12.30 Uhr – Zeit für die Mittagspause. Längst hat sich herumgesprochen, dass das Trio von der Gewerkschaft ist, und dass die drei nach Kolonnen suchen, die skrupellos ausgebeutet werden.

Minas Gerais ist der Bundesstaat, der die im April vom brasilianischen Arbeitsministerium veröffentlichte „Schmutzige Liste“ anführt: Dort werden Betriebe gelistet, die Menschen unter sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen ausbeuten. In 157 Betrieben wurden die In­spek­to­r:in­nen aus dem Arbeitsministerium fündig; sie holten 1.463 Männer und Frauen aus menschenunwürdigen Arbeits- und Unterbringungsverhältnissen – allein in Minas Gerais.

Brasilienweit standen 737 Betriebe auf der Liste, 6.054 Menschen wurden unter sklavenähnlichen Bedingungen ausgebeutet und befreit. Für die Definition dieser „sklavenähnlichen Bedingungen“ beruft man sich auf Artikel 149 des brasilianischen Strafgesetzbuches: „Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft sowie menschenunwürdige Arbeits- und Unterkunftsbedingungen, aber auch unmenschliche Arbeitszeiten sind dort als Kriterien aufgeführt“, so Ferreira.

Der 46-Jährige weiß, wovon er spricht. Er hat Menschen befreit, die auf Kaffee-Farmen festgehalten wurden, die für Transport, Unterkunft und Lebensmittel Wucherpreise zahlen sollten. Menschen, die sich nicht wehren konnten, die in beengten Unterkünften mit kaputter Küche und kaputten Sanitärinstallationen untergebracht waren und die keine Überstunden bezahlt bekamen.Und er kennt fast all das aus eigener Erfahrung: Mit gerade 13 Jahren ist Ferreira aus einem kleinen Ort im Bundessstaat Bahia zur Kaffeeernte nach Minas Gerais gekommen. „Ich war minderjährig, schwarz und wurde hemmungslos ausgebeutet. Mit 14 wurde ich zum ersten Mal aus sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen befreit, mit 17 Jahren zum zweiten Mal und das letzte Mal im Alter von 21 Jahren“, erklärt Ferreira etwas abseits vom Bus neben einem Arabica-Strauch.

Im Schatten des Busses haben sich derweil die Pflü­cker:­in­nen zum Mittagessen auf dem Boden niedergelassen. Stühle, Tische oder Bänke gibt es nicht. Ferreira kritisiert das, als er sich kurz darauf vom Vorarbeiter mit dem breiten Strohhut verabschiedet. Einige Arbeiter quittieren die Kritik mit einem Grinsen, nicken Ferreira anerkennend zu.

Fakten zum Kaffee

Auf mindestens 2,3 Millionen Hektar Ackerland wird in Brasilien Kaffee angebaut. Rund 60 Prozent der Ernte (60 bis 65 Millionen Säcke) entfallen auf rund ein Dutzend Arabica-Sorten, die restlichen 40 Prozent auf Robusta-Sorten, die in Brasilien Cornillon genannt werden. Robusta ist deutlich genügsamer als die anspruchsvollen Arabica-Sorten, die vor allem im Bundesstaat Minas Gerais auf Kaffeefarmen angepflanzt werden.

Kaffee ist in Brasilien – anders als in Mittelamerika – Big Business, und es wird oft agroindustriell produziert: mit hohem Einsatz von Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln und in ganz anderen Mengen als in Mittelamerika oder Afrika. Dort sind es in aller Regel Kleinbauern und Genossenschaften, die im Kaffeeanbau präsent sind. Anbau und Produktionsbedingungen sind dort oft transparenter – unter anderem auch deshalb, weil in diesen Ländern Fair Trade und Bioanbau deutlich verbreiteter sind als in Brasilien.

„Hier in Minas Gerais ist Adere MG so etwas wie die gewerkschaftliche Speerspitze gegen jede Form von Sklavenarbeit. Wir befreien Menschen seit 2011 aus miesen Arbeitsverhältnissen, zeigen an, recherchieren und besuchen – oft unter Vorwänden – Fazendas. Manchmal auch getarnt“, schildert Ferreira die Arbeitsweise von Adere MG, die er mitgegründet hat.

Die Gewerkschaft arbeitet mit drei, manchmal vier Teams, je nach finanzieller Situation. Zurzeit ist die aber mies, sodass nur acht bezahlte Kon­trol­leu­r:in­nen im Einsatz sein können. Adere MG hat im vorigen Jahr etwa ein Drittel der Fälle aufgedeckt, die auf der „Schmutzigen Liste“ landeten, schätzt Ferreira. Das ist aufwendig, kostspielig und riskant. Ferreira selbst wird regelmäßig beschimpft, es hat Anschläge auf ihn gegeben.

Auch seine Kollegin Vitor da Costa, eine kleine, drahtige Frau mit langen, grauen Dreadlocks, hat Morddrohungen erhalten. Von ihrer Familie ist sie aufgefordert worden, den Job endlich aufzugeben. Doch die Endfünfzigern macht weiter. „Wir können uns nicht allein auf die öffentlichen Institutionen, das Arbeits- und das Justizministerium, verlassen“, sagt sie.

Das lässt sich kaum von der Hand weisen, denn das für die Inspektionen von verdächtigen Betrieben verantwortliche Arbeitsministerium hat zu wenig Personal. 1.000 In­spek­to­r:in­nen wurden in den letzten Jahren pensioniert, nur 800 wurden unter Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva neu eingestellt. Doch es fehlt nicht nur an qualifziertem Personal, auch die Ausstattung der Teams ist nicht zeitgemäß. „Hightech wie Drohnen sind knapp, neue Computerprogramme nicht immer da und manchmal fehlt selbst Benzin“, kritisiert Wilian, der Techniker im Adere-Team.

Auch Adere hat wie viele Gewerkschaften in Brasilien mit Finanzproblemen zu kämpfen. „Wir werben um Spenden, um die hohen Kosten für Mietwagen, Hotels und Co zu decken, die bei unseren Recherchen anfallen“, so Ferreira. Die sind nötig, um unauffällig auf großen und kleinen Fazendas nach Missständen Ausschau zu halten. „Miese Unterkünfte können das genauso sein wie bewaffnete Wachleute oder der kleine, überteuerte Supermarkt auf so einer Fazenda“, ergänzt Vitor da Costa. Dann steigt sie wieder hinten in den Wagen ein, während die beiden Männer vorn Platz nehmen.

„Ich war minderjährig, schwarz und wurde hemmungslos ausgebeutet“

Jorge Ferreira, Gewerkschafter und ehemaliger Kaffeepflücker

Langsam geht es zurück zur Straße nach Itamogi. Am Ortseingang heißt ein Schild die Be­su­che­r:in­nen in der „Stadt des besten Kaffees“ willkommen. Den Anspruch hat eine ganze Reihe von Städten in Brasiliens Anbauregionen. Die bekannteste ist Minas Gerais, denn von dort kommen Brasiliens Premiumkaffees, die meist agroindustriell mit hohem Pestizid- und Düngemittel-Einsatz angebaut werden.

Die Arbeitsabläufe rund um die Ernte sind mechanisiert. Kleine Traktoren fahren nach den Pflü­cker:­in­nen durch die Reihen der Kaffeepflanzen und saugen mit einem Rohr auch noch die letzte Kaffeekirsche ein. Nur das Pflücken selbst läuft noch manuell. „Dafür werden Pflü­cker:­in­nen aus den armen Bundesstaaten im Norden wie Bahia, Pernambuco oder Paraíba für die dreimonatige Ernte hierher gekarrt“, sagt Ferreira.

Gezahlt wird seit jeher mies. Die Mitglieder der Kolonne, die an diesem Tag im Anschluss an die abgeschlossene Ernte durch die Kaffeereihen geht und die Pflanzen von toten Ästen und Blättern reinigen, erhalten pauschal 120 Real für ihre Handarbeit. Umgerechnet sind das 20 Euro am Tag und somit deutlich weniger als während der Ernte. Dann wird nach Gewicht der geernteten Kaffeekirschen gezahlt. Zwischen 300 und 700 Real, umgerechnet 50 bis 116 Euro, kann ein guter Pflücker oder eine gute Pflückerin verdienen.

„Doch das Problem ist, dass sie hier nicht leben. Sie müssen für Unterkunft, für Essen, für Arbeitskleidung, für den Transport und teilweise selbst für Arbeitsgeräte zahlen“, erklärt Wilian beim Mittagessen in Itamogi. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie und hat sich, aus einem Klassenbewusstsein heraus, wie er sagt, den Ge­werk­schaf­te­r:in­nen von Adere angeschlossen. Wilian weiß, dass in Brasilien 70 Prozent der Land­ar­bei­te­r:in­nen ohne Arbeitsvertrag arbeiten.

Jorge Ferreira dos Santos hat die Gewerkschaft Adere MG mitgegründet Foto: Knut Henkel

Abhängig und auf sich gestellt

„Alles wird mündlich vereinbart. Oft werden die Absprachen mit dem Anwerber, in aller Regel sind das Männer, und nicht mit der Fazenda gemacht, wo gearbeitet wird. Das sorgt dafür, dass die Ar­bei­te­r:in­nen auf sich gestellt sind, abhängig von dem, der sie angeworben und oft im Bus bis zur Arbeit kutschiert hat“, erklärt er die Abläufe.

Gegen diese Abhängigkeiten kämpft Adere und kooperiert dabei eng mit der CUT, dem größten von sechs gewerkschaftlichen Dachverbänden in Brasilien. Der Verband wiederum steht der Arbeiterpartei von Präsident Lula da Silva nahe. Aber auch mit Nichtregierungsorganisationenen wie Repórter Brasil arbeitet Adere zusammen.

Die haben in den vergangenen Jahren nicht nur Arbeitsrechtsverstöße, sondern auch Land- und Umweltkonflikte aufgedeckt – manchmal auch in Nachbarländern wie Kolumbien. In einer gemeinsamen Studie mit Repórter Brasil hat die Gewerkschaft 2023 en detail nachgewiesen, wer von den prekären Arbeitsbedingungen bei der Kaffeeernte profitiert.

Nestlé, Starbucks und die Neumann Kaffee Gruppe kaufen bei den Großbauern ein

„Darunter sind auch die Großen wie Nestlé, Starbucks oder die Neumann Kaffee Gruppe aus Hamburg. Sie alle kaufen hier bei großen Fazendas und Genossenschaften ein, wo es immer wieder zu Fällen von sklavenähnlichen Ausbeutungsbedingungen kommt“, erläutert Ferreira und verweist auf die „Schmutzige Liste“. Zwar gebe es Fortschritte, so seien zertifizierte Fazendas, in aller Regel besser als nicht zertifizierte, aber eine Garantie gebe es nicht.

Dann schaut Jorge Ferreira auf die Uhr. Es ist 16 Uhr. „Jetzt ist auf den Kaffeeplantagen Feierabend und wir können Gizela*, eine junge Pflückerin, besuchen. Sie hat uns eingeladen, wir haben sie vor zwei Jahren aus sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen befreit“, sagt Ferreira, greift zum Schlüssel des schwarzen Mietwagens und steht auf. Wenig später verlassen wir Itamogi und biegen außerhalb der Kaffeestadt auf einen Feldweg ab, der von langen Reihen von Kaffeepflanzen gesäumt ist. Junge, kaum 60 Zentimeter hohe Pflanzen wechseln sich mit älteren, rund 1,80 Meter hohen Pflanzen ab.

Roter Staub wirbelt auf und etliche der Pflanzen am Wegesrand machen einen trockenen, ausgedörrten Eindruck. Nach rund 15 Minuten nimmt Ferreira den Fuß vom Gas und biegt auf den von einer Hecke begrenzten Hof eines kleinen Hauses ein. „Hier wohnt Gizela mit ihrem Freund José*. Sie arbeiten gemeinsam auf einer benachbarten Fazenda“, erklärt Ferreira bevor er aussteigt und das Paar begrüßt. José, ein schlaksiger 24-Jähriger, ist vor acht Jahren als Erntearbeiter aus dem nördlichen Bundesstaat Piauí in die Region von Itamogi gekommen und geblieben. „Es war hart“, sagt er. „Heute sind José und ich festangestellt. Wir arbeiten nicht mehr in einer der Erntekolonnen – ohne Rechte und in miesen Unterkünften. Wir pflücken jetzt direkt für eine benachbarte Fazenda, leben in diesem kleinen Haus meiner verstorbenen Mutter“, erklärt die 23-Jährige mit den hochgesteckten Haaren.

Anders als ihr Freund stammt Gizela aus der Region, ist mit Kaffee aufgewachsen, und seit sie 16 Jahre alt ist, erntet sie zwischen Mai und Ende August die prallen, roten Kaffeekirschen. „Hier, rund um Itamogi, dreht sich fast alles um Kaffee: Ernte, Trocknung, Verarbeitung, Verkauf“, sagt sie und blickt schüchtern in die kleine Runde. Sie möchte nicht gerne darüber reden, was sie erlebt hat auf den Fazendas.

Harte Arbeit, wenig Lohn: Pflücker auf einer Kaffee-Plantage in Minas Gerais Foto: Knut Henkel

Nach vorne schauen, scheint die Devise des jungen Paares. Morgens um sieben Uhr fangen sie auf der Fazenda mit dem Pflücken an, gegen 16 Uhr lassen sie den letzten Beutel mit Kaffeekirschen beim Vorarbeiter auswiegen. Beide sind mit dem Akkordlohn zufrieden, den sie bekommen, und auch an den Arbeitsbedingungen haben sie trotz Rückfrage nicht auszusetzen.

Das war vor zwei Jahren ganz anders. Das bestätigt ein Blick auf das Mobiltelefon von Ferreira, der die detaillierte Anzeige beim Arbeitsministerium fotografiert hat. Zwölf Punkte sind da aufgeführt, darunter fehlende Sanitäranlagen auf dem Feld, die Nichtverfügbarkeit von Schutzkleidung und Sicherheitsvorkehrungen beim Einsatz von Pestiziden sowie die heruntergekommene Unterkunft – ohne adäquate Sanitär- und Küchenausstattung.

All das bestätigt Gizela, weicht jedoch jeder konkreten Nachfragen aus. Peinlich scheint es ihr zu sein, einem der professionellen Anwerber vertraut zu haben, gerade weil sie aus der Region stammt. Das Gros der Arbeiter in der Kaffeeernte von Minas Gerais kommt aus anderen Bundesstaaten und wird dort angeworben. Oft wird zu viel Lohn versprochen und bessere Arbeitsbedingungen sowieso. Den Job abzubrechen und ohne Geld zurückzukehren, das ist für viele kaum denkbar.

Alte Busse bringen die Ar­bei­te­r:in­nen zu ihren Einsatzorten auf den Plantagen Foto: Knut Henkel

Das bestätigt auch Ferreira, der das Paar für die Gewerkschaftsarbeit gewinnen möchte – gerade weil sie die miese Seite des Kaffeepflückens en detail kennen und anderen helfen könnten. „Uns fehlt hier in der Region der gewerkschaftliche Nachwuchs. Wir brauchen mehr Unterstützung für unsere Arbeit und dabei spielt die Justiz eine zentrale Rolle“, moniert Ferreira, nachdem er sich verabschiedet hat und wieder im Wagen sitzt.

Härtere, abschreckende Strafen wünscht er sich von der brasilianischen Justiz. Doch die Realität ist eine andere, wie die Dozentin für Arbeitsrecht der Universität von Minas Gerais, Livia Miraglia, bestätigt. „Ausbeutung lohnt sich in Brasilien. Sklavenähnliche Arbeitsbedingungen werden von der Justiz wie ein Kavaliersdelikt gewertet. Die Strafen sind mild und die Abnehmer des Kaffees werden nie zur Verantwortung gezogen“, kritisiert Miraglia ungewohnt deutlich.

Davon profitierten auch große deutsche Abnehmer meint Ferreira. „Die Lieferkette in Brasilien ist intransparent und das muss sich ändern“, nennt er eine Kernherausforderung. Die andere ist die brasilianische Justiz, die oft zu langsam, zu zögerlich und lasch agiere.

Foto: Knut Henkel

Bestes Beispiel ist die Fazenda, von der Gizela 2023 befreit wurde. Das Verfahren läuft noch und in erster Instanz hat der zuständige Richter Entschädigungszahlungen abgelehnt. Das könnte auch ein Grund sein, weshalb José und Gizela so zurückhaltend waren, gerade weil die Fazenda nur ein paar Kilometer von ihrem kleinen Haus entfernt ist.

Ferreira hält das ebenfalls für plausibel. Bei der nächsten Visite will er nachfragen – mit den Mitgliedsanträgen für Adere unter dem Arm.

*Namen zum Schutz der Personen von der Redaktion geändert.

Die Recherche für diese Reportage wurde unterstützt von der Christlichen Initiative Romero (CIR) aus Münster, die zu Arbeits- und Umweltrechten im Orangen-, Kaffee- und Sojaanbau Brasiliens arbeitet.

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