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■ Zweites Opfer der baskischen ETA in Spaniens WahlkampfSchüsse auf die Verfassung

Viele in Spanien befürchteten eine Anschlagserie während des Wahlkampfes. Die Separatisten müßten Stärke beweisen, um mit der neuen Regierung ins Gespräch zu kommen.

Was allerdings niemand vorausgesehen hatte: Die Opfer der jetzt tatsächlich eingetretenen Attentate sind nicht der politischen Rechten zuzuordnen, die – das bezweifelt nach den neuesten Umfragen keiner mehr – als Sieger aus dem Urnengang am 3. März hervorgehen wird. Statt dessen gehören sie dem Umfeld der Nochregierungspartei von Felipe González, der sozialdemokratischen PSOE, an.

Weder der baskische Politiker Fernando Múgica, den die ETA in der vergangenen Woche ermordete, noch das gestrige Opfer, der Rechtswissenschaftler Francisco Tomás y Valiente, gehörten zu dem, was die baskischen Separatisten die „faktischen Mächte“ nennen, wenn sie den Unterdrückungsapparat des Zentralstaates meinen, oder zu der Gruppe um die GAL, verantwortlich für den „schmutzigen Krieg“ in den achtziger Jahren.

Beiden Opfern ist gemein, daß sie aus alten republikanischen Familien kommen, die einst im Bürgerkrieg gegen Franco standen. Sie leisteten beide auf ihre Art Widerstand gegen die Diktatur – der eine als junger Sozialist und Neugründer der PSOE am Ende des Franco-Regimes, der andere als fortschrittlicher Universitätsprofessor, immer daran interessiert, die intellektuelle Hoheit der Demokraten an Spaniens Hochschulen zurückzugewinnen. Von der jungen Demokratie wurde er dafür mit dem Vorsitz des Verfassungsgerichtes belohnt. Auch wenn er nicht zu den Autoren des Verfassungstextes gehört, so ist er zweifelsohne der Vater der Verfassungsrealität.

Was will ETA mit den Schüssen auf Múgica und Tomás y Valiente erreichen? Das ist schwer zu beantworten. Eines ist allerdings klar. Die neue Generation hat nur wenig mit denen gemein, die Mitte der fünfziger Jahre in ihrem Widerstand gegen Franco einen Schritt weitergingen als Múgica und Tomás y Valiente und zu den Waffen griffen.

Die heutigen Anschläge richten sich nicht gegen übriggebliebene Strukturen, die den Basken jedwede eigene Identität verweigern. Sie richten sich vielmehr gegen Protagonisten des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie. Die Schüsse gegen Fernando Múgica, und noch viel mehr die gegen Francisco Tomás y Valiente, sind damit Schüsse gegen die Demokratie und gegen die Verfassung selbst.

Reiner Wandler, Madrid

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