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Schüsse an SchuleSchweden im Schock

In einem Erwachsenen-Bildungszentrum in Örebro wurden bei einer Schießerei mindestens elf Menschen getötet. Das Motiv des mutmaßlichen Täters ist unklar.

Gedenken an die Opfer von Örebro Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Härnösand taz | Was nicht passieren darf, ist passiert. Jetzt auch in Schweden“: Ulf Kristersson musste Worte für das Unfassbare finden. Es sei das schwerste Verbrechen dieser Art in der schwedischen Geschichte, sagte der schwedische Ministerpräsident, als er am Dienstagabend vor die Presse trat. Er war nicht der einzige, der darauf hinwies. Der Eindruck, dass etwas bisher Undenkbares geschehen ist, prägte Schweden da schon den halben Tag.

Anderthalb Stunden zuvor hatte die Polizei die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Bei der Gewalttat an einem Zentrum für Erwachsenenbildung in Örebro wurden mindestens zehn Menschen erschossen – die Zahl wurde später auf elf erhöht.

Dem Schock für das Land waren Stunden der Sorge, Ungewissheit und Spekulationen vorausgegangen, seit mittags die ersten Eilmeldungen kamen. Von einer ernsten Gewalttat und einer lebensgefährlichen Situation an einer Schule war da die Rede – aber was passiert war oder noch passierte, blieb quälend lange unklar.

Die Anzahl der Polizei- und Rettungswagen, die Zahl der Schüsse, die ein Anlieger gehört hatte, die Ankunft schwer bewaffneter Sondereinheiten, die Aussagen von Augenzeugen, die das Gelände hatten verlassen können, im Netz kursierende Videos und die Tatsache, dass das Krankenhaus in Örebro offiziell auf Krisenmodus umstellte: Alles wurde in diesen Stunden zu Indizien für den Ernst der Situation, ohne wirklich Antworten zu geben.

„Ein Albtraum“

Viele Schüler saßen stundenlang im Gebäude fest, andere rannten um ihr Leben auf diesem riesigen Campus, wo mehrere Schulen angesiedelt sind. Schwedische Medien hatten unterschiedliche, unbestätigte Informationen über Verletzte und sogar Tote. Die Polizei hatte lange, während sie versuchte, die Lage unter Kontrolle zu bringen, nur sehr wenige Informationen für die Öffentlichkeit.

Um 15.30 Uhr bestätigte Roberto Eid Forest, der Polizeichef von Örebro, fünf Verletzte seien ins Krankenhaus gebracht worden, darunter der mutmaßliche Täter. Dessen Tod wurde später von der Polizei bestätigt. Um 18 Uhr trat Roberto Eid Forest erneut vor die Presse, und dann verstand Schweden, dass jede heimlich gehegte Hoffnung, alles möge glimpflich ausgehen, vergeblich gewesen war. „Ungefähr zehn Tote“, sagte er. „Ein Albtraum.“

Ein Tag, der mit jeder Stunde dunkler und dunkler sowie schwerer und schwerer wurde, so beschrieb es spät am Abend ein Radioreporter. Örebros Bürgermeister John Johansson bezeichnete die Tat als „dunkelsten Tag in der Geschichte von Örebro.“ Und der Ministerpräsident sprach von „der Dunkelheit, die sich heute Abend über Schweden legt“. Die Gesellschaft sei in ihren Grundfesten erschüttert, sagte Justizminister Gunnar Strömmer.

Dabei stand sie schon auf wackeligem Boden, gerade erst durchgerüttelt von der bandenkriminellen Sprengstoffserie im Januar und mehreren Morden, darunter dem an Koran-Verbrenner Salwan Mumika vor einer Woche. Das Jahr hatte besonders schlecht angefangen. Und dann passierte diese Katastrophe.

Weitere Eskalationsstufe

Der Täter: ein Mann, 35 Jahre, polizeilich bis dahin nicht in Erscheinung getreten. Kein Hinweis auf Verbindungen zu Bandenkriminalität. Und trotzdem wurde seine Tat immer wieder mit den anderen Ereignissen zusammen erwähnt – für viele in Schweden war dies vor allem eine weitere Eskalationsstufe der Gewalt. Eine weitere Stufe der Verunsicherung.

„Man versucht zu verstehen, dass das tatsächlich passiert ist. Denn so etwas kann doch eigentlich nicht passieren“, sagte ein hörbar angefasster Reporter aus Örebro. Schweden ist nun in dieser neuen Realität aufgewacht. Viele werden einen Moment gebraucht haben, um sich darüber klar zu werden: Es ist tatsächlich passiert.

Wer der Täter eigentlich war, welches Motiv er hatte, was genau passiert ist, ob die Tat gesellschaftliche oder politische Folgen haben wird, wie man wissen kann, ob Schulen jetzt noch sicher sind: Viele Antworten stehen noch aus. Einen ersten neuen Hinweis von der Polizei gab es am Mittwochmorgen: Sie sieht keinen Hinweis auf ein ideologisches Motiv.

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