■ Schröder spielt falsch in der Energiepolitik: Foulspiel per Statistik
Glaube nie einer Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Einer der Kernsätze der Volkswirtschaftslehre, muß jetzt auf den niedersächsischen Ministerpräsidenten Anwendung finden. Gerhard Schröder versucht derzeit, mit hochmanipulativen Zahlen neue kohlefressende Stromkathedralen als Ersatz für alte gemeingefährliche Atommeiler durchzusetzen – und das unter dem Mantel des angestrebten Energiekonsenses. Die Forderung nach Energieeinsparung, die parteiübergreifend selbst in der CDU inzwischen begriffen worden ist, wird in Schröders Konzept zur Marginalie degradiert.
Der SPD-Ministerpräsident vertritt dabei die Anliegen der Stromkonzerne sogar besser als sie selbst. Die Konzerne verlangen in ihrem Brief an Kanzler Kohl nur jeweils ein neues Kraftwerk für einen alten Atommeiler, das Kraftwerk könnte also auch kleiner sein, Strom könnte gespart werden. Schröder will dagegen genauso viel Kraftwerkskapazität neu bauen lassen wie abgeschaltet wird. Begründung: In Niedersachsen könne in den kommenden Jahren so viel Strom nicht eingespart werden, wie die Atommeiler heute erzeugten. Ein guter Teil des Atomstroms, den Niedersachsen heute erzeugt, wird aber „exportiert“, zum Beispiel nach Hamburg. Dieser Verbrauch kann mithin nicht in Niedersachsen eingespart werden, sehr wohl aber in Hamburg. Die Genossen im Hamburger Senat verfolgen zumindest offiziell eine Stromsparpolitik – die dezentrale Energiepolitik, die die SPD auch in der Klima-Enquetekommission des Bundestages auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Der Ersatz der Atommeiler durch Kohle- und Gaskraftwerke ist nicht nur klimapolitisch falsch, er ist (zum Teil) auch unnötig. Zudem kann Schröders Zahlenspiel fatale Folgen für den angestrebten gesellschaftlichen Energiekonsens haben. Wenn der niedersächsische Ministerpräsident nämlich bei den Verhandlungen um den Energiekonsens den zentralen Baustein jeder zukünftigen Energiepolitik, die Energieeinsparung, außen vor läßt und praktisch ausschließlich auf neue Kraftwerke setzt, werden damit erstens die Chancen für eine vorwärtsgewandte Energiepolitik im wahrsten Sinne des Wortes für die nächsten dreißig Jahre verbaut. Zweitens verliert der Sozialdemokrat Schröder jede Glaubwürdigkeit als Repräsentant einer ökologisch verantwortbaren Energiepolitik. Konsequenz: Ökologisch aufgeklärte Bürger nicht nur in seiner Partei sind angeschissen und werden das auch feststellen. Der Charme jeder Verhandlungen über den Energiekonsens liegt schließlich gerade darin, den Teufel Atomkraft nicht mehr mit dem Beelzebub Klimakollaps auszutreiben, sondern Ausstieg und Klimapolitik gemeinsam zu denken. Sonst ist der Konsens unnötig. Hermann-Josef Tenhagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen