■ Schriften zu Zeitschriften: Erinnern, wiederholen...
Ursprünglich war ein Schwerpunkt zum Verhältnis von Internationalismus und Befreiungsnationalismus geplant für die vierte Ausgabe von Die Beute, „Zeitschrift für Politik und Verbrechen“. Daß – wohl unter dem Druck abgestürzter Texte – das Thema „Subkultur“ an dessen Stelle trat, kann kein Zufall sein: Aus der Krise, in die die hedonistische Linke durch den Verlust liebgewonnener Überzeugungen der Achtziger, insbesondere die Rechtscodierung des Protestmodells Rock, geriet, ist Die Beute entstanden; dorthin kehrt sie für diese Quasi-Jubiläumsnummer (ein Jahr ist um) zurück.
Eine Form der Selbstvergewisserung, der Erinnerungsarbeit mag also als Gemeinsames hinter den ansonsten sehr verschiedenen Beiträgen dieses Schwerpunkts stehen. Roberto Ohrt etwa nimmt den Maler Martin Kippenberger gegen – unter anderen von Harald Fricke in der taz geäußerte – Kritik in Schutz. Kippenberger, so Ohrt, sei keineswegs der dumpfe, politisch inkorrekte Sexisten-Provo, den seine Kritiker im nachhinein in ihm erkennen, sondern eine Art Eulenspiegel – nur aus den vertrackten Konfliktlinien des künstlerischen Partisanenkampfs heraus zu begreifen. In den satten Achtzigern habe er der moralisierenden 68er-Linken die Schrecken und Späße einer tieferen Opposition gezeigt.
Nun ist es aller Differenzierung zum Trotz zweierlei, „Kontextualität“ wiederherzustellen, das so Gewesene als notwendig so Gewordenes zu reklamieren und diese Zusammenhänge anhand reichlich veränderter Bedingungen zu überprüfen. Hier beschränkt sich Ohrt darauf, der Kippenberger-Kritik rundum eigensüchtige, denunziatorische Absicht zu unterstellen und – quasi mit Kippenberger – die „muffige Unbeweglichkeit der altgewordenen linken Einrichtungswelt“ zu geißeln. Was den eigentlichen Punkt eher verwischt. „Kippenberger“ ist eine Metapher und die Frage „Wo warst du in den Achtzigern?“ Bestandteil einer Art Stasi-Debatte der Linken, die mit dem Hinweis, die Verhältnisse seien nun mal nicht so gewesen, nicht erledigt sein kann. Gemäß der Freudschen Trias Erinnern-Wiederholen-Durcharbeiten ist da was noch nicht ganz durch.
In einem Interview zu den Hannoveraner Chaos-Tagen, der 94er Neuauflage der Punktreffen von 82 bis 84, bei denen Hunderte von Punks präventiv und gesetzwidrig eingeknastet wurden, liegt das Geschichtliche der achtziger Jahre zumindest in Form offener Widersprüche zutage. Die Veteranen Moses Arndt und Karl Nagel (und leider zum Teil auch die Beute-Redaktion) gefallen sich darin, eine Verschwörungsfront aller „Medien“ von ZDF bis taz zu konstruieren, um so – viel Feind, viel Ehr – noch mal vergleichsweise billig zu einer positiven Identität als reine Subjekte des Widerstands zu kommen. Der „virtuelle Krawall“ von Hannover wird dabei einmal als Produkt „bürgerlicher Hetze“, zum anderen aber als medialer Sieg der Unterdrückten verkauft, die in Fernsehen und Bild-Zeitung als Helden für einen Tag erscheinen durften. Der schlichte, entmystifizierende Chaos-Tage-Reisebericht von Helga Schulz (die von sich sagt, ob sie noch Punk sei, sei „eine schwierige Frage“) auf den Kulturseiten der taz war da um Längen voraus – think twice, sonst ist es nicht alright.
Ziemlich toll dagegen wieder Diedrich Diederichsen. In einem geschichtsdetektivischen Aufsatz geht er der Frage nach, warum die Figur des Junkies, in den Sechzigern und Siebzigern noch eine in Rocksongs romantisierte Bruderfigur des Bohemiens, heute so verdammt alt aussieht, daß selbst die Subkultur ihn nicht mehr haben will. In Kölner Lokalkampagnen gegen Drogen nimmt Diederichsen die Spur auf, assoziiert die Kanthersche Gesetzesinitiative „Innere Sicherheit“ zur allgemeinen gesellschaftlichen Angst vor schleichender Vergiftung, um zu dem verblüffenden Ergebnis zu kommen, daß der Junkie heute eine Zwillingsfigur des Asylbewerbers ist. Auf dem Wege der Verschiebung trifft ihn die kollektive Abwehr einer Gesellschaft, die sich selbst von „Fremdstoffen“ reinhalten will – die spätprotestantische, auf „Politikfähigkeit“ bedachte Linke eingeschlossen.
In Denkfiguren wie dieser ist der Anspruch der Beute, politische Analyse und Hedonismus zusammenzubringen, wenigstens negativ gelungen – als erinnernde Vergegenwärtigung eines Verlusts. Den Rest des Bandes bilden lehrreiche, gut geschriebene, aber nicht sonderlich bewegende Stücke zu Sinn Féin und IRA, zum Kemalismus in der Türkei, zur Lage der Centri Sociali in Italien, zum Verständnis der Riot Grrrls in den USA und anderswo sowie eine umfassende Ideologiekritik an der Freiwirtschaftsbewegung Silvio Gesells und seiner Jünger im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Möge all das immerhin zur Verbesserung des allgemeinen Kenntnisstands beitragen, frei nach der Devise eines lustigen T-Shirt-Aufdrucks, der unlängst die Runde machte: „Antifaschismus sollte erfolgreich sein“. Thomas Groß
„Die Beute. Zeitschrift für Politik und Verbrechen“. Heft 4/Winter 94, 14 DM. Abo: 48 DM (4 Hefte). Förderabo 100 DM.
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