Schriften zu Zeitschriften: Solidarität ohne Propaganda
■ Kurdistan-Zeitschriften emanzipieren sich von der eisernen Logik der Organisationspolitik
Je länger der Krieg der Staatsapparate vor allem der Türkei, Iraks und Irans gegen die kurdische Bevölkerung in ihren Gebieten dauert, je länger die deutsche Politik die Beweise wälzt, ob Rüstung „made in Germany“ für Kampfeinsätze genutzt wird oder gerade mal bloß zum Drohen, desto größer wird der Informationsbedarf über die Vorgänge vor Ort. Ohne Öffentlichkeit werden die Befreiungsbewegungen keine Chance haben, soviel ist klar, und „Free Kurdistan“- Transparente haben noch keine Stadien gefüllt wie einst die „Free Nelson Mandela“-Banner, die schließlich die Apartheid begraben konnten. Voraussetzung für solche Erfolge ist ein aus glaubwürdigen Quellen informiertes Publikum.
Nach Lektüre der fünf wichtigsten Zeitschriften, die über Kurdistan in deutscher Sprache informieren, ist das Fazit: Den Typus von Zeitschrift, der gnadenlos die Verlautbarungen bestimmter Organisationen wiederkäut, die ja heroisch oder einflußreich sein mögen, aber weder Diskussion noch Widerspruch dulden, auch nichts „Unpolitisches“ vom Alltagserlebnis bis zum Gedicht, diesen Zeitschriftentypus gibt es noch, aber mit abnehmender Tendenz. Wenn publizistische Veränderungen Hoffnung signalisieren, dann gibt es für Kurdistan Silberstreifen am Horizont.
Kurdistan Report, monatlich aus Köln. (Sollte er zur Zeit nicht erscheinen, sind die Gründe im rechtlich fragwürdigen Aktionismus des Bonner Innenministers zu suchen.) Informationslücken, auch in bezug auf das militärische Geschehen, versucht das Kurdistan Informationsbüro, Köln, Tel. 0221-131 572, zu schließen.
Ein bißchen an die glorreichen Zeiten der Roten Fahne und sonstiger maoistischer Prosa fühlt sich erinnert, wer im Kurdistan Report blättert und Fragen an den „verehrten Vorsitzenden“ liest. Abdullah Öcalan ist gemeint, der Generalsekretär der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, der aus dem syrischen Exil zu uns spricht. Diese Guerillabewegung ist vermutlich die einflußreichste im türkischen Kurdistan, und gerade auch ihre bemerkenswert einseitigen Deeskalations-Bemühungen werden hier erläutert. Nebenbei hat „Apo“, wie er genannt wird, auch Humor, soweit das in Hauptquartieren halt möglich ist.
Informationsbulletin Kurdistan, zweimonatlich von Komkar – Verband der Vereine aus Kurdistan, Hansaring 28-10, 50670 Köln.
Vorteile wie Nachteile einer festen Verwurzelung bei den ExilkurdInnen, die in Europa leben, prägen das Informationsbulletin von Komkar. Die Berichte der Delegationen, die vor allem das türkische Kurdistan bereisen, nehmen außer den Nachrichten über Wahlbetrug, Krieg, Gefängnis und Folter den meisten Raum ein. Die Guerilla-Aktionen, das wird deutlich, würden die Komkar-Leute gerne zum Teufel wünschen, aber der brutale Staatsapparat stärkt die Position der militaristischen Gegenseite immer neu. Dagegen kommt die moderate Kritik kaum an.
Kurdistan heute, zweimonatlich von Navend, Dorotheenstr. 49, 53111 Bonn, Tel. 0228-652 900.
Hier spricht die Solidaritätsbewegung, mit einem weiten Horizont, der Irak und auch die explosiven Gleichgewichte nahöstlicher Politik insgesamt, auch die Rolle Israels, einschließt. Kultur, Buchbesprechungen, Gedichte haben Raum, zwar immer noch mit dem Touch der Heldenverehrung, doch strammgestanden wird hier nicht. Die Kurdistan- Politik der Sozialdemokraten, der Bündnisgrünen, diverser Landesregierungen wird abgeklopft. Andreas Buro bringt im Interview als Vertreter der „Friedensbewegung“ ein überfälliges, erfrischendes Plädoyer, doch um Gottes willen wegzukommen „von der ethnischen Organisierung des Staates“, das Redaktionsteam (nur wenige inländische Namen) nimmt's zu Herzen.
Kurdistan Archiv, sechsmal jährlich ein dickes Heft aus Dortmund, Postfach 10 24 02.
Das Heft bietet bis auf kurze Einführungs- und Zwischentexte Presseartikel zur kurdischen Frage, die Themen variieren von Danielle Mitterrands Besuchen im Krisengebiet über die Massaker von Sirnak bis zur humanitären Hilfe durch medico oder UNO. Die Zeitschrift berücksichtigt über deutsche und englische Texte hinaus die (auch illegalen oder bloß geduldeten) Medien der Region.
Kurdistan News, Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan, alle 14 Tage aus 28045 Bremen, Postfach 10 45 51, Tel 0421-70 39 32.
Diesem Blatt, das – trotz des weltläufigen Titels ganz in deutscher Sprache – mehr als Pressedienst denn als Zeitschrift daherkommt, ist ein Durchbruch gelungen: Der „Internationale Verein für Menschenrechte in Kurdistan“ als Herausgeber trägt seinen Namen zu Recht und fordert die Einhaltung der internationalen humanitären Standards von allen, auch von der PKK-Guerilla ein. Kommen unbeteiligte Zivilisten, vor allem auch Familienangehörige der „Dorfwächter“, ums Leben, wird das in klarer Sprache gemeldet. Das unselige Bündnis von „Selbstzensur und Propagandalügen“, mit dem sich über Jahrzehnte Solidaritätsbewegungen selbst geschwächt haben, ist passé, ohne daß eine deplacierte „Neutralität“ geübt wird oder der geringste Anlaß zum „Verrat!“- Geschrei bestünde.
Martina Burandt, Simone Heimannsberg, Richard Herding, Claudia Plass-Fiedler (ID Bremen)
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