Schriften zu Zeitschriften: Dann gute Nacht
■ Mann vor Mattscheibe: Bodo Kirchhoff gegen das Fernsehen
Keine Frage, der Mann hat Stil. Er fährt einen „betagten Volvo“, befindet sich „auf dieser fließenden, besonders von meiner Generation ausgedehnten Grenze zum Nicht-mehr- Jungsein“, trinkt „dieselben italienischen Weine“ wie seine Rezensenten, bringt seinen Jungen selbst ins Bett und weiß auch, wie man das macht: „Sieht mein Sohn am Abend noch fern, kann er nicht einschlafen; bekommt er aber eine Geschichte erzählt, findet er den Frieden mit sich selbst, der offenbar nötig ist, um sich dem Schlaf anzuvertrauen.“
Unsere LeserInnen werden es sich gedacht haben: dieser Mann ist kein Radio- und Fernsehtechniker, er ist ein Schriftsteller. Er schreibt auch Zeitungsaufsätze, aus denen er bei Gelegenheit ausgiebig zitiert. Die jüngste Gelegenheit bot sich bei der Neuen Rundschau. Das Thema „Schreiben und Narzißmus“, sagt der Schriftsteller, stelle für „jeden Autor eine einzige Falle dar“. Bis dahin hat er recht.
Die Sache mit dem Narzißmus entpuppt sich dann aber als nur vages Motiv, um sich um den Literaturbetrieb – nämlich Literaten, ihre Gegner in Form von Rezensenten, ihre Konkurrenz und das abtrünnige Publikum – Gedanken zu machen. Der Text endet mit einer kleinen Typologie der Kritik, deren Extreme die „quasi religiöse Lobpreisung“ und der Vollverriß sind, in der Mitte die zu erwartenden Mischungen. Die fünf Modelle werden dann einer „Polemik“ gegenübergestellt, die als „Ultima ratio für Rezensenten“ zu gelten habe: „Hier zählen weniger Begründungen und deren Haltbarkeit, hier zählt die Gewißheit, die sich aus dem Leseerlebnis ergibt“ (natürlich fällt der Name Karl Kraus, schnarch) – hatte sich nicht der Schriftsteller vierzehn Seiten vorher ermahnt, „nicht in den Ton gelehrter Sonntagsreden zu fallen“? Er hätte auf sich hören sollen.
Daß dem Beitrag des Schriftstellers ein Text Günter Kunerts folgt, ist ein übles Zeichen: Kunert gehört seit Jahren zu den Sachwaltern des Kulturbetriebs, die dem Fernsehen für alles die Schuld geben, wofür man Schuldige braucht; insbesondere, naturgemäß, die angebliche Krise der Literatur. Nun begrüßen wir im Kreise der kulturpessimistischen Nörgler also auch unseren Schriftsteller, Bodo Kirchhoff aus Frankfurt.
Die Crux der Klage liegt wohl darin, daß hier ein „Fernsehen“ und eine „Literatur“ gegeneinandergestellt werden, die als Apparate gar nicht in der Form konkurrieren können, wie Kirchhoff unterstellt. Zum Fernsehen gehören ja die Nachrichten, die Reklame, die Musikclips und nicht zuletzt die Spielfilme, von denen nicht wenige auf Romanvorlagen zurückgehen und deren erfolgreichste im Nachhinein der „novelization“ unterzogen werden.
Aber der Zusammenhang von „Fernsehen“ und „Lesen“ interessiert Kirchhoff nicht wirklich. Am Ende stehen für das Fernsehen nur die Talkshows und vor allem das Literarische Quartett. Auch diese Feindschaft ist letztlich nicht begründet. Es ist eine Schein-Alternative, die Sendung mit Reich-Ranicki zu sehen „oder statt dessen eben einen Roman zu lesen“. Die Leute stürmen doch am nächsten Tag die Buchhandlungen.
Es wäre begreiflich, wenn unser Schriftsteller argumentieren würde, daß es zur Zeit einen ungeheuren Ausstoß erstklassiger Literatur gäbe, der nur eines fehlt: das Publikum. Stattdessen wird das Fernsehen zum Popanz aufgebaut, das „die Schrift“ systematisch zerstöre. Die tatsächliche Literatur jedoch, von der Kirchhoff spricht, wird zunächst einem untauglichen Kriterium unterworfen: „deutschsprachig und unter die Rubrik Gegenwartsliteratur fallend“.
Es ist dann übrigens nicht viel, was unser Schriftsteller empfiehlt. Seine allgemeine Diagnose der „deutschsprachigen Gegenwartsromane“ fällt so fürchterlich aus, daß es im Vergleich völlig unerheblich ist, ob Kirchhoff die Literatur im gleichen Aufsatz „von allen unseren Medien“ als „das gewaltloseste“ erkennt. Wenn aber die Bücher so doof sind und das Fernsehen auch, warum erregt sich Kirchhoff über „die Fahrer weißer und schwarzer Jeeps“, die aus der Videothek die Kassetten abholen?
Schreiben und Narzißmus, eine Falle. Er meint wahrscheinlich sich, wenn er sagt, als Alternative zum Schreiben bleibe dem Autor „Romane anzupeilen, die etwas größer sind als er selbst, Romane, in welchen es immer um Liebe und Tod gehen wird“. Und selbstverständlich sind dann die Kritiker „verdorrt“, die das nicht bemerken wollen. Wie unfruchtbar Kirchhoffs Denkfigur tatsächlich ist, offenbart sich erst in der Behauptung, ein Kritiker, der „die Wahrheit, die der Autor zur Sprache gebracht habe“, lobe, räume „damit, indirekt, einen Mangel im eigenen Leben ein“.
Bodo Kirchhoff geht nicht zu den verhaßten Talkshows. Er füllt den Fragebogen der FAZ nicht aus. Er hat sich in seinen Büchern „nie den Flirt mit dem Leser gestattet“. Er hat Lacan gelesen. Aber ihm ist entgangen, daß es ein Unterschied ist, die unliterarische Öffentlichkeit zu meiden oder sich eben dafür literaturöffentlich zu preisen.
Von Freud hat er viel gelernt. Aber nicht, daß die Fallgeschichte des eigenen Kindes nur bedingt taugt: Gern glauben wir ihm, daß der Sohn des Schriftstellers seinem Vati den Gefallen tut, eine Gutenachtgeschichte dem Fernsehsandmännchen vorzuziehen. Unwahrscheinlicher kommt es uns vor, daß das Fernsehen vor dem Schlafengehen das Kind aus eigener medialer Kraft daran hindern kann, „fest daran zu glauben, daß man auch wieder aufwacht“. Nicht ausschließen wollen wir, daß die Gutenachtgeschichten seines Vatis aus Gründen, die hier höflichkeitshalber nicht wiederholt erörtert werden, zum Wegratzen bestens geeignet sind. Ulf Erdmann Ziegler
„Neue Rundschau“, Heft 2, 1995, „Unser Fernsehen: Denken vor der Mattscheibe“. S. Fischer, 184 Seiten, 16 Mark
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