piwik no script img

Schriften zu ZeitschriftenDie Welt der Bierdeckel

■ Lauter Running Gags: Die dritte Ausgabe von „Schrift – Zeitschrift für künstliche & künstlerische Intelligenz“

Interessierte Leser sind schon im Editorial gewarnt: Um Text geht es in Schrift nur am Rande. Statt dessen beschränkt sich der 520 Seiten dicke DIN-A4-Ziegel auf eine vermischte Sammlung aus fotokopierten Zetteln, Notizen und Nebensachen. Nachrichten aus der Welt der Bierdeckel, von Literaten, Künstlern und sonstigen Existenzen. Oswald Wiener schreibt allerlei Nachgedanken zur Turingmaschine, Dieter Roth liefert kuriose Werbeausrisse, und einige Münchner Szenedichter beklagen unter anderem den Niedergang der heimlichen Kulturhauptstadt. Martin Kippenberger schickte eine Karte mit der Nachricht: „Keine Kohle, keine Connections, keine Lust“ und verzichtete auf weitere Mitarbeit.

Vollends unübersichtlich wird das Konvolut durch den gestalterischen Eingriff der Herausgeber. Fred Jaeger hat früher als Grafiker für das Architektenbüro von Otl Aicher gearbeitet, Manuel Bonink war beim Punk- Fanzine 59 to 1. Schrift ist eine Materialcollage aus beiden Bereichen des Designs. Sämtliche Beiträge wurden bis zur Unkenntlichkeit handschriftlich überarbeitet, Zeichnungen und Fotos großflächig dichtgekrakelt, ein Teil der benutzten Schrifttypen ist schlicht nicht lesbar. Home-print statt Hochglanz. Das alles paßt zum Manifest der zwischen Flugblatt und Künstlerbuch angesiedelten Zeitschrift: „kampf dem kunsthandwerk: delegierte und billigste herstellung im copyshop, schlechte bindung, extrem sÑurehaltiges papier, verschmutzung, unles- und unerkennbarkeiten, dilettantische lay-outs, schlampereien etc. da freilich auch kinnen angedeutet wird, ist der betrachter gefordert, absicht und zufall zu unterscheiden.“

Arno Widmann hat die ersten beiden Ausgaben mit dem Kommentar zurückgeschickt, daß er „damit überhaupt nichts anfangen kann“, Markus Lüpertz reagierte ähnlich. Fürs Feuilleton ist Schrift inhaltlich zu verworren, dem Kunstbetrieb zu garstig. Das Cover zeigt eine Frau, die sich ihr Schamhaar krault, die Rückseite das endoskopische Bild einer Magenöffnung. Daß das Ganze wie eine Magisterarbeit schwarz mit Tesa-Band gebunden ist und allen Ernstes 350 Mark kosten soll, gehört mit zum Spiel: Schrift geht es um den Dada des Mediums – die Zeitschrift als Schnittmenge aus Information und Aktionismus. Eine Idee, die sich bei diesem hohen Preis nicht am Kiosk, sondern in der Galerie verkaufen läßt.

Stets „auf Suche nach der Grenze zwischen Berechenbarkeit und Zufall“, wie Bonink das Low-Medium definiert, knüpft die Ästhetik stark an Aufzeichnungen diverser Wiener Gruppen der sechziger Jahre an. Valie Export ist mit endlosen Zahlenreihen vertreten, Oswald Wiener findet es ein bißchen peinlich, wenn er und seine Frau „da schon wieder so oft vorkommen“. Zwischen den Deckblättern treffen Forschungsartikel und Pornos, High-Tech und Blödsinn aufeinander: Eine Reihe von Wissenschaftlerporträts wurde mit Hitlerbärtchen verziert, anderen Figuren hängt ein Schwanz aus der Hose. Als Kalauer taucht die Ikone Hitler bald auf jeder Seite auf, mal als Totenschädel, dann wieder im Gesicht vom Papst oder Vilem Flusser. Das ist mit der Zeit ein wenig beliebig, ebenso die akribisch sich gegenseitig demontierenden Anmerkungen: „dann wird der running gag zum running gag / ende der selbstkritik.“

Sobald die Autoren den akademischen Diskurs verlassen, wird es interessant. Ein Kapitel ist dem Briefwechsel zwischen Jaeger, diversen Ärzten, Rechtsanwälten und dem Bahnpolizeiamt Köln gewidmet, weil Jaeger im Suff einen Polizisten von der Treppe geschubst hat. Die kleine Einführung in die Dienstunfähigkeit ist an sich schon Satire genug, Hinzufügungen wie „Tuntenrepublik“ oder „Tölpelverletzung“ stören da nur. Andererseits kommt das auf 33 Seiten geführte literarische Tagebuch von Dieter Roth dem Moment sehr nahe, wo sich Kunstproduktion von der alltäglichen Psycho- Grammatik kaum trennen läßt. Am 18. Dezember 1994 schreibt er: „versuche, Blössen zu zeigen (meine), mich (wie die Wölfe, gefilmt bei Raufereien um Ränge – sagte der Sprecher) entblössen, um Kampf (Niederlage?) zuvorzukommen?“ Dem stammelnden Artisten haben selbst Jaeger und Bonink nichts Gescheiteres hinzuzufügen. Harald Fricke

Schrift Nr.3, zu beziehen über Wien's Laden, Berlin und Buchhandlung Walther König, Düsseldorf/Köln

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen