Schriften zu Zeitschriften: Stadtgespräch
■ Der „New Yorker“ verblüfft mit dem Sonderheft „Schwarz in Amerika“
Im New Yorker konnte man über lange Jahre zuverlässig das finden, was in Zeitungskonferenzen gern „Lesestück“ heißt: etwas Langes, Essayistisches, Elegantes; zu lang, um aktuell, und zu elegant, um aggressiv zu sein. Aus dieser erlesenen Randständigkeit möchte die Chefredakteurin Tina Brown die Zeitschrift herauskatapultieren, vom Kaffeetischchen zurück ins Stadtgespräch.
Nachdem deshalb im März bereits ein angeblich unter der Schirmherrschaft von Roseanne Barr konzipiertes Frauenheft erschienen war, wartete der New Yorker nun mit einem Special „Black in America“ auf. In beiden Fällen bemühte sich die Redaktion, weder die Kreuzritter der guten Sache noch die traditionelle New Yorker-Klientel der Upper West Side, die den alten Parolen gegenüber skeptisch geworden ist, zu bedienen.
In einem Editorial des Harvard-Professors Henry Louis Gates und des Redakteurs Hendrik Hertzberg wird in wehen Worten das Thema eingekreist, um das es in dem Heft gehen wird: Wie kommt es, daß die Schwarzen Amerikas zwar kulturell immer bedeutsamer werden, aber ökonomisch marginalisiert bleiben? „Für Afroamerikaner ist das Land der Unterdrückung und das Land der Befreiung eins. In irgendein fernes Land zu fliehen ist keine Option, obwohl dies auch – als ironischer Tribut an den Immigrantenmythos – ein Motiv des schwarzen Nationalismus ist. Aber die Schwarzen waren keine Immigranten. Ihre Assimilation war nicht allein ihre Sache.“
Nach der Gleichheit die Differenz, nach der Differenz der Pragmatismus: Ähnlich wie im vorangegangenen Frauenheft werden die Sprünge von der juristischen Emanzipation bis zur kulturellen Separation nachgezeichnet – von der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings über die Black Panther bis zur Nation of Islam. Dabei wird durchaus nicht vor der bizarren Erkenntnis zurückgeschreckt, daß ein Maximum an Separation in den Innenstädten der Metropolen zu verzeichnen ist, aus denen nicht nur die Weißen, sondern oft überhaupt jeder ökonomische oder kulturelle Austausch mit der Umgebung verschwunden sind.
Vielleicht wegen dieses Horrorszenarios der verfestigten Grenzen ist das Heft voller Porträts von politischen oder kulturellen Seiltänzern: von Clarence Thomas beispielsweise, dem Richter am Obersten Gerichtshof, der vor Jahren nicht nur als „Onkel Tom“ der Reagan-Administration, sondern auch als Mißbraucher am Arbeitsplatz gegenüber seiner Angestellten Anita Hill Berühmtheit erlangte – was für die schwarze Presse damals eine schwierige Nuß zu knacken war: Sollte man die Kongreßanhörungen, denen er ausgesetzt war, als Kastrationsversuche am schwarzen Männerkörper betrachten oder sich als Gemeinde gegen den Renegaten und hinter die schwarze Subalterne stellen. Hier nun erscheint Thomas als Wiedergänger Booker T. Washingtons, eines Sklavensohns, der als „Moses seiner Rasse“ in die Geschichte einging, weil er in der Rekonstruktionsphase nach dem Bürgerkrieg eine calvinistische Arbeitsethik, einfaches Leben und ökonomische Autonomie für die Schwarzen höher hängte als rechtliche Gleichstellung (weshalb „affirmative action“ für Clarence Thomas Anathema ist). Der Konflikt zwischen Washington und dem ungleich schärferen W.E.B. Dubois, der ihn des Verrats und prinzipienloser Geschäftemacherei bezichtigte, wiederholte sich später zwischen Martin Luther King und Malcolm X oder heute zwischen dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Jesse Jackson und dem gegenwärtigen Leiter der Nation of Islam, Louis Farrakhan.
Auf dessen Porträt durch Henry Louis Gates (der übrigens eine W.E.B.-Dubois-Professur innehat) konnte man gespannt sein, schließlich repräsentiert Gates selbst den Zwiespalt, in dem sich die „Black Studies“-Fachbereiche an den Universitäten befinden: einerseits im liberalen weißen Kulturestablishment leben und andererseits ethnische Differenz pflegen zu wollen. Aus der Schlinge rettet sich Gates in die Postmoderne: Farrakhans Tiraden über eine jüdische Weltverschwörung stünden gleichberechtigt neben seiner Behauptung, die Familie seines Vaters seien weiße portugiesische Juden gewesen, ein Identitäts- Pastiche, das Gates bestenfalls zum Schillern bringen möchte. Erhellend ist hingegen die Beschreibung des von Farrakhan organisierten „Million Man“- Marsches auf Washington, der sich vor allem durch eine pompös orchestrierte politische Leere auszeichnete. „Der Marsch“, so zitiert Gates Jesse Jackson, „hatte vor allem ein religiöses Thema – nämlich Buße –, und die Mehrzahl seiner Besucher waren nicht Muslims, sondern Christen. Er hatte mit den Angelegenheiten der Gemeinde überhaupt nichts zu tun.“
Man erfährt, was man aus Porträts erfahren will: wie Jesse Jackson, ein uneheliches Kind, eine Familiendynastie errichtet; wie Farrakhan die Villa eingerichtet hat, in der vor ihm Elija Muhammed wohnte; wie die Schauspielerin Angela Bassett („Tina“) sich eine Position jenseits der klassischen schwarzen Mädchenrollen zurechtzimmert; welche Arbeitsethik Einwanderer aus der Karibik haben, die ökonomisch besser fahren als ihre ebenfalls schwarzen amerikanischen Konkurrenten; was aus den ersten zehn Harvard-Absolventinnen wurde, die Juristinnen sind, und warum Buddy Fletcher, ein 30jähriger Börsenmakler, so erfolgreich und zugleich so philanthropisch gesinnt ist.
Gedichte von Derek Walcott, zwei, drei Dinge, die man noch nicht von Duke Ellington wußte, und Fotos von den beiden Frauen, die mit Martin Luther King und mit Medgar Evers gelebt hatten, all das läßt fast vergessen, daß erstaunlicherweise eins fehlt: der HipHop. Mariam Niroumand
The New Yorker, „Black in America“, May 6, 1996
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