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Archiv-Artikel

Schräge People

Würde im gesellschaftlichen Off: Die Bremer Kunsthalle zeigt Arbeiten des britischen Künstlers Tom Wood, der seit 1978 das Alltagsleben in Liverpool fotografiert

Ein Mann steht auf der Tanzfläche und spielt Luftgitarre, seine Freunde schauen ihm vom Rand aus anerkennend zu. Ein anderes Bild zeigt ein Pärchen, das im Halbdunkel schmust – neben ihnen sitzt eine Dritte und kippt resigniert eine Flasche Bier hinunter. „Looking for Love“ hat der Fotograf Tom Wood die Bildserie genannt, die er zwischen 1981 und 1986 in New Brightons erstem Disko-Pub machte. Wood, der seit 1978 in Liverpool lebt, begann, auf seinen täglichen Busfahrten Menschen zu fotografieren: Seine Bilder zeigen Arbeitslose, gestresste Mütter und Mädchen, deren Blüte schon vorüber ist, bevor sie überhaupt beginnen konnte – alltägliche Tragik in den Arbeitervierteln Liverpools.

Seit gestern zeigt die Kunsthalle Bremen eine Ausstellung mit Woods Fotografien. Sein Werk wird erstmalig in dieser Breite vorgestellt: Neben der Reihe „Looking for Love“ sind Portrait- und Busfotografien zu sehen. Sie sind eine Leihgabe des Sammlers Bernd F. Künne, der über Wood sagt: „Er versteht es, selbst unaufgeräumten, hässlichen Orten etwas Ästhetisches abzugewinnen“. So zeigt ein Foto aus dem Jahr 1973 zwei junge Mädchen, die mit Strohhalmen Limonade trinken – die Kulisse ist zugleich trostlos und komisch: Ein öffentliches Klo für „Gentlemen“, bei dessen Beschriftung auch noch die ersten Buchstaben fehlen.

Der Titel der Ausstellung „Photie Man“ spielt auf den Fotografen selbst an: Wood jagt nicht nach dem guten Bild, sondern nimmt sich Zeit für die Menschen, die er portraitiert – bis er für sie der vertraute „Photie Man“ wird. Obgleich die Fotos im gesellschaftlichen Off entstehen, bewahren Woods schräge „People“ ihre Würde. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das fotografische Feingefühl des „Photie Man“ Wood bei jenen Portraits, die er von älteren Männern in einer psychiatrischen Anstalt machte.

Die Fotos der Serie „Looking for Love“ sind in der Kunsthalle so angeordnet, dass sie als Reihe, wie ein Dokumentarfilm über Begegnung, Flirt und Ablehnung zu lesen sind. Doch auch hier zeigt sich bei näherem Hinsehen, wie genau Wood jede einzelne Szene mit den tanzenden, knutschenden, lallenden Jugendlichen durchkomponiert hat. Er wirft einen fast zärtlichen Blick auf die Suchenden. So schäbig die erste Dorfdisko New Brightons auch war: Die Schönheit liegt im Auge des Fotografen.

Sibylle Schmidt

bis 15. August