GASTKOMMENTAR: Schöpfungsträume
■ Der Fall Jacobsen zeigt nur die Spitze des Eisbergs „neue Fortpflanzungstechnologien“
Der Fall Dr. Jacobsen ist eine Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann: Während GenkritikerInnen seit Jahren vor den Gefahren der Menschenzüchtung warnen und die Schöpfungsträume der „Halbgötter in Weiß“ kritisieren, haben Gynäkologen in der Realität längst ihren omnipotenten Zeugungsphantasien Gestalt verliehen. Der „gottesfürchtige Samariter“ Jacobsen hat 75 Frauen per künstlicher Befruchtung mit seinem eigenen Sperma geschwängert und Frauen Hormonbehandlungen als Schwangerschaft vorgespiegelt.
Es geht fehl, Jacobsen als abschreckendes Beispiel für die skrupellose Profitgier mancher Reproduktionsmediziner abzutun. Der Fall Jacobsen ist kein Auswuchs, sondern zeigt die Tiefe des Eisbergs „neue Fortpflanzungstechnologien“ an. Jenseits aller Schlagzeilen um samenspendende Nobelpreisträger und High-IQ-Sperma gehören Spermahandel und künstliche Befruchtung als einfachste Technik im Supermarkt dieser neuen Reproduktionstechnologien längst zum alltäglichen Geschäft.
„Hochwertige Zuchteigenschaften“ wie „Gesundheit, Intelligenz und Schönheit“ spielen bei jeder künstlichen Befruchtung eine Rolle. Und der Glaube, daß die Gene einen Menschen bestimmen, daß Kinder machbar sind und ihre „Qualität“ vorgeburtlich kontrolliert werden kann, ist breit verankert. Das Wissen um die eigene Herkunft, um Vater und Mutter, bildet einen elementaren Bestandteil unserer Identität als zukünftig anachronistisch werdende Spezie der Beischlafgezeugten. Im Panoptikum der Fortpflanzungsmedizin werden genetische, biologische und soziale Elternschaft aufgetrennt. Die persönlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Entwicklung bleiben Tabu.
Der Fall Jacobsen wurde nicht nur wegen seiner Betrügerei zum öffentlichen Spektakel, sondern weil er diese Fiktion der entpersönlichten, desexualisierten Fortpflanzung platzen läßt.
Der Prozeß wirft aber auch ein Schlaglicht auf Hormonbehandlungen und ungehemmte Experimente an Frauen — um die es sich bei jeder „Unfruchtbarkeitstherapie“ handelt. In seiner makabren Kuriosität entlarvt der Fall Jacobsen auch die Ultraschalltechnik — das famose Spiel der Gynäkologen, Frauen ihr Baby schon im Mutterleib als TV-Spiel vorzuführen. Frauen „erkennen“ nach ärztlicher Anweisung in den grauen und schwarzen Flecken auf dem Monitor einen Embryo, den es nicht gibt.
Längst ist die ärztliche Definitionsmacht über die Leibesfrucht gesellschaftlich anerkannt. Durch die Visualisierung wird die Frau als „fötales Umfeld“ aus dem Schwangerschaftsgeschehen ausgeblendet oder nur noch als „Risikofaktor“ für den Fötus wahrgenommen. Schwanger ist eine Frau heute, wenn es ihr Arzt bescheinigt. Ingrid Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen