■ Schöner leben: Den Stadtplan lesen!
SCHÖNER LEBEN
Den Stadtplan lesen!
Wo fände man mehr Wahrheit über eine Stadt als im Stadtplan? Zum Beispiel die Goethestraße in Bremen: gehört zu den kürzestem der Republik. In jedem Zeven ist sie länger. Die Tucholskystraße ist eine Sackgasse im Brennpunkt Reiherstraße. Brahms, Reger, Händel und Haydn drängeln sich mit Rembrandt und Dürer in Schwachhausen, alle einen Steinwurf lang, wobei Bach merkwürdigerweise in die Neustädter Geist-Ecke gelegt wurde (Kantstraße, Hegelstraße). Der Philosophenweg indes ist eine Puffgasse beim Bahnhof.
Die Musen küssen woanders, der Geist weht anderswo. Multikulti wenigstens? Fehlanzeige: Es gibt die Togostraße, die Trinidadstraße und die Kamerunstraße. Punkt. Letztere direkt neben der Koloniestraße. Viele Bremer Straßen aber sind nach Blumen (10 mal Rosenweg, 6 mal Margaritenweg) und nach Senatoren und Bürgermeistern benannt. Mit der Neuen Heimat kamen ein paar linke Recken hinzu (Liebknecht, Lassalle, Leuschner). Doch werden sie bleiben? Die Karl-Marx-Straße in Arsten konnte in Chemnitzstraße nur deshalb nicht umbenannt werden, weil's diese in Findorff schon gibt.
Handel? Wandel? Die kürzeste Straße Bremens ist die Frankfurter Straße, kaum bedeutender die Berliner Straße. Vom europäischen Ausland ganz zu schweigen. Aber tatsächlich: Bremen hat eine Bremer Straße!
Was bleibt, ist der wahre Bremer Urgrund: Die längsten und wichtigsten Straßen Bremens sind „Heerstraßen“. Vegesacker, Ritterhuder, Warturmer, Osterholzer, Borgfelder Heerstraße... Zwanzig Stück. Dazu all die Straßen, die nach Jagdflieger Richthofen, „Marschall vorwärts“ Blücher, Preußengeneral Waldersee, Admiral Spee... Benannt wurden. Rüstungskonversion Auf dem Flintacker, Am Schießstand, Am Haßkamp? U-Boote bauen! Dabei wäre es so leicht, neue Akzente zu setzen: Ein „e“ in die Marcusallee, und wir hätten schon einen Denker mehr. Und einem bedeutenden ortsansässigen Theatermann ließe sich mit Tip-Ex huldigen: Am Riensberger Friedhof liegt die Heymelstraße! Burkhard Straßmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen