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Schöner Müll In alten Holzkisten stecken oft viele Geschichten. Man kann aus ihnen aber auch Stehpulte oder Sekretäre machenAbgefärbte Holzliebe

Definitiv nicht von Ikea: Theas Holzkistensekretär Fotos: Dorothea Bergmann

Von Waltraud Schwab

Möglich, dass nicht nur meine Freundin Thea (wir kennen uns seit dem Kindergarten) eine alte Holzkiste hatte – etwa in den Maßen 50 x 50 x 70 Zentimeter – , die sie nicht wegwerfen konnte, obwohl nichts an dieser Kiste besonders ist. Zusammengezimmert aus Latten ist sie, der Deckel mit Scharnieren ans obere Ende geschraubt. Auf der einen Seite wurde ein Polsterband schräg zwischen Deckel und Kiste genagelt, damit der Deckel in der Senkrechten stehen bleiben kann. Ein Riegel, durch den das Vorhängeschloss gezogen wurde, ist noch dran. Die Kiste ist größer als eine Weinkiste, doch im selben Stil und zusätzlich eben mit Deckel.

Mit dieser Kiste ist August Bergmann, Theas Vater, von Norddeutschland nach Süddeutschland gezogen. Drin war sein Werkzeug. Er war Tischlermeister, ein sehr großer, sehr herzlicher Mann, einer, der mit offenen Armen empfing und alles konnte, was mit Holz gemacht werden kann. Vielleicht hatte seine Liebe zu Holz auf ihn abgefärbt, seine Bewegungen, seine langsame Art zu sprechen bekamen mit der Zeit selbst eine hölzerne Weichheit.

Es muss nicht so eine einfache Kiste sein, wie die, die Thea nicht wegwerfen, nicht verbrennen konnte; eine Kiste, die nur deshalb wertvoll ist, weil eine Geschichte daran hängt: der Umzug ihrer Eltern aus Cloppenburg nach Breisach. Im Zug haben sie ihr Hab und Gut transportiert, Koffer und Papiertonnen, in denen Geschirr und Kleinmöbel waren, dazu die zwei älteren Schwestern von Thea und die Werkzeugkiste. Der Krieg war noch keine zehn Jahre vorbei – das Bild von Menschen, die ihren Hausrat schleppten, befremdete nicht.

Die Kiste also, die nicht weggeworfen werden kann, könnte auch spektakulärer sein, könnte eine Truhe sein, bemalt, von Ururgroßmutter auf Urgroßmutter auf Großmutter vererbt. Drin könnte einst die Aussteuer der Frauen gewesen sein. Auch solche Truhen können in etwas Neues verwandelt werden. Es ist eine Frage des Blicks auf die Dinge: „Ich habe in der Werkzeugkiste meines Vaters mehr gesehen“, sagt Thea, „ich habe einen Sekretär darin gesehen.“

Thea weiß nicht genau, wie sich ihre Eltern nach dem Krieg in Süddeutschland kennenlernten, warum sie nach Cloppenburg zogen und dann wieder zurück zur Verwandten in Breisach. Dort fand ihr Vater in einem Dorf in der Nähe eine Arbeit. Anfangs fuhr er jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit, später kaufte er sich einen Motorroller mit Sichtschutz, und danach erwarb er auf dem Dorf einen Bauplatz und begann, nach und nach ein Holzhaus darauf zu bauen. „Wir sind mitunter zu fünft auf dem Motorroller ins Dorf gefahren“, erzählt Thea – sie war die dritte Tochter. Zwischen Vater und Mutter saß ein Kind, und vorn zwischen den Füßen des Vaters standen die zwei anderen Mädchen.

Der Bauplatz war neben dem Kindergarten. „Auf der einen Seite des Zauns standen Thea und ihre Geschwister, auf der anderen Seite des Zauns stand ich. So lernten wir uns kennen.“

Das zweite Leben der Dinge „Ich habe in der Werkzeugkiste meines Vaters mehr gesehen. Ich habe einen Sekretär darin gesehen“Thea Bergmann, Umweltingenieurin

Theas Vater entwarf das Haus allein, baute es nahezu allein, entwickelte das Heizsystem, (ein einziger Kachelofen heizt alle Zimmer), baute alle Fenster, alle Türen, alle Möbel, vergrößerte das Haus, bis jedes der Kinder, fünf am Ende, ein eigenes Zimmer hatte – ein Traum.

Thea wiederum lernte durchs Dabeistehen und Handlangern alles über das Tischlern und baute in ihrem Leben neben ihrer Arbeit als Umweltingenieurin und Projektleiterin an der Freiburger Universität mehrere alte Häuser und Wohnungen aus.

Die Kiste aber, die nun ein Sekretär ist, ist eine Hommage an ihren Vater, der sie lehrte, in einem Stück Holz etwas Neues zu sehen.

Anleitung:

Sie brauchen: eine Kiste – idealerweise nicht unter 70 Zentimeter breit, die Sie nicht wegwerfen wollen.

Bleistiftstummelverschluss

Bevor Sie anfangen zu bauen, muss entschieden werden, ob Ihr Sekretär ein Stehpult oder ein Schreibtisch, an dem man sitzen kann, sein soll. Das hängt ein wenig von den Maßen der Kiste ab. Eine große Kiste mag als Stehpult von den Proportionen her harmonischer wirken.

Als weiteres Material benötigen Sie vier Holzleisten von 3 x 5 Zentimetern Breite und Tiefe und je etwa 150 Zentimeter Länge (bei Stehpulten). Bei niedrigeren Sekretären können die Holzleisten etwas kürzer sein. Zudem werden 16 Flügelschrauben mit Muttern gebraucht. Und sie benötigen noch zwei etwa 20 Zentimeter tiefe Bretter in der Innenlänge der Kiste und kleine Vierkanthölzer und Holzschrauben zum Befestigen – das werden dann die Regalbretter in der Kiste.

Zuerst schrauben Sie die Vierkanthölzer für die Bretter in der Kiste fest.

Danach werden die Holzleisten auf die gewünschte Länge – vom oberen Rand der Kiste zum Boden – geschnitten. Je nach ästhetischem Gefühl können Sie die Leisten leicht anschrägen – wie Thea es tat.

Werkzeugkiste des reisenden Tischlermeisters August Bergmann

Dann bohren Sie je Leiste zwei Löcher und schrauben sie mit den Flügelschrauben an die Kiste.

Falls Ihre Kiste kein Polsterband an der Seite hat, um den Deckel zu halten, und eventuell sogar nicht mal Scharniere, müssen Sie diese zusätzlich anbringen. Das Polsterband wird wie in der Abbildung schräg von Kiste zu Deckel angebracht. Das Band – es könnte auch ein ausrangierter Sicherheitsgurt aus einem ausrangierten Auto sein – hält später, wenn die Kiste ein Sekretär ist, die Tischplatte in der Waagrechten. Wer Zweifel hat, dass ein Band auf einer Seite ausreicht, kann auch auf der anderen Seite eines anbringen.

Jetzt noch die Regalbretter einlegen und einen Bleistift an einem Faden am Riegel befestigen – er dient am Ende als Verschluss, wenn die Tischplatte hochgeklappt ist.

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