piwik no script img

Schöner Müll Ein Chefkoch, der nur Blaumann trägt. Seine Frau, die mit Pressspan und kaputten Lampen das Restaurant dekoriert. Wie aus Weggeworfenem Wertvolles wirdDie Schönheit in den Dingen

Von Waltraud Schwab

Wie eine Trümmerfrau knotet sich Barbara della Fonte das Kopftuch, wenn sie im Berliner Café bedient. „Trümmerfrau?“, della Fontes Deutsch ist nicht so gut und sie lässt sich Wörter gern erklären. „Wenn die Tasse kaputt geht“, sagt eine Besucherin, die zugehört hat, weil alles hier wie Familie ist, sie hält dabei die Espressotasse in die Höhe und tut, als ließe sie sie fallen, „wenn also eine Tasse kaputt geht, sind es Scherben. Wenn Häuser kaputt gehen, Trümmer.“ Barbara della Fonte ging das zu schnell. Sie tippt „Trümmerfrau“ in die Suchmaschine auf dem Laptop, schaut sich die Schwarzweißfotos der Berlinerinnen an, die nach dem Krieg die Stadt aufräumten, sagt „wow“, sagt „meine Tochter nennt mich auch Trümmerfrau“. Warum? „Weil mich das Kaputte interessiert. Das Weggeworfene.“ Dann erklärt sie, dass sie selten neue Sachen hat, aber wenn doch, verändert sie etwas daran. So eigne sie sich die Dinge an.

Vor zwei Jahren kam della Fonte mit Alessandro Denni nach Berlin. Er war jahrelang Chefkoch in Restaurants. Berlin war sein Traum. „Eines Tages gehe ich nach Berlin“, hat er immer gesagt. Als er es tat, beide waren da schon um die 50, kam sie, die Quirlige, die Zierliche, mit. Und Denni, der Fleischesser, wettete, er könne die italienische Küche auch in vegan und vegetarisch. Jetzt haben sie in Berlin eine Mischung aus Vintage-Bistro, fleischlosem Gasthaus, Weinladen mit Käse und Anti-Mafia-Nudeln. Es heißt „Neontoaster“. Den Namen versteht nur, wer die Geschichte kennt: „Wenn wir den Laden haben, soll er Neonröhren an der Decke haben“, sagte Denni. „No way“, antwortete sie. „Wenn wir den Laden haben, möchte ich einen alten Toaster“, sagte della Fonte. „No way“, antwortete er.

Süßkartoffel-Tofu-Torte

Zutaten: 500 g Süßkartoffeln, 1 Orange, 80 g Agavensaft, Muskatnuss, Vanille, 100 g dunkle Schokolade, 300 g Kokosmilch, 150 g Seidentofu, 5 g Agar-Agar

Rezept: Süßkartoffeln kochen und pressen. Muskatnuss, Vanille, 50 g Agavensaft und Orangenschale hinzufügen. Püree in eine Springform streichen, 3 Stunden kühlen. 90 g Schokolade schmelzen, 50 g Seidentofu einrühren. In die Form streichen, wieder kühlen. Kokosmilch mit dem restlichen Seidentofu und Agaven-Saft verrühren. Agar-Agar mit 100 ml Wasser 5 Minuten kochen lassen, Kokosgemisch unterrühren. Masse in die Form füllen. 1 Stunde kalt stellen. Die restliche Schokolade darüber reiben, 6 Stunden kalt stellen.

Wie der Name funktioniert vieles bei den beiden. Sie kombinieren Wörter und es entstehen Wunderdinge. Sie kombinieren Nahrungsmittel, und es entsteht Genuss. Diese vegane Torte aus Süßkartoffeln, Tofu und Kokos etwa – Dennis Rezept. Auch kombinieren sie Sachen, und es entsteht etwas, das schon beim Anschauen nährt. Barbara della Fonte ist fürs Ambiente zuständig, Denni, der im Blaumann herumläuft, als wäre er Klempner, grauer Bart dazu, fürs Essen. Sie sucht im Alten das, was anspricht. Ansprechend werde es, wenn man das Alte nicht festlegt auf die alte Zeit. Ihr Laden ist eingerichtet mit Krempel, Nierentische zu Space-Age-Sesseln, Thonet-Stühle zu DDR-Mobiliar. Das Bügelbrett ist eine Ablage, und die Lampe, die sie ohne Fuß im Müll fand, wird jetzt von einer Vase gehalten – das geht auch.

Besonders ausgereift im della-Fonte’schen Sinne: die Bank aus einem Gerüstbrett. Links und rechts hat sie noch die Metallenden, mit denen das Brett im Gerüst festgehakt wurde, Gipspatina inklusive, die Sitzfläche allerdings ist abgeschliffen. Jemand hatte ihr das Brett geschenkt, im Hinterhof fand sie die zwei geschwungenen Tischfüße im 70er-Jahre-Chic und schraubte sie an. Fertig. Ein Kaffeesack ersetzt das Kissen.

Auch ein Loch in der Wand verdeckte sie mit minimalistischer Improvisation. Sie fand ein Stück groben Pressspan, Denni soll entsetzt gewesen sein, als er es sah. Sie wickelte links und unten eine schwarze Gummischnur darum, hängte es vor das Loch. Jetzt sieht es wertvoll aus. „Bellezza“ – Schönheit – sei eine Frage des Sehens. Für manche sei es ein Brett, für andere ein Objekt, und für Dritte gehe es darüber hinaus.

Wenn Barbara della Fonte neue Sachen hat, verändert sie etwas daran. So eignet sie sich Dinge an

Della Fonte und Denni gehören zu denen, die der europäischen Identität Substanz geben. Er ist Römer, sie wurde in Saló am Gardasee geboren. „Saló“, sagt sie, „ist wunderschön. Aber nur schön.“ Man müsse weggehen, um beim Zurückkommen die Schönheit zu sehen. „Barbara, du musst das Haus auf den Schultern tragen, wie eine Schnecke“, soll ihre Lehrerin schon in der Schule zu ihr gesagt haben. Sie wäre gerne Lehrerin geworden, aber ihre Mutter erlaubte es nicht. Della Fonte wurde Buchhalterin, hat in Hotels und auf Antiquitätenmärkten gearbeitet, einmal hatte sie auch eine Kneipe. Mit 26 Jahren zog sie das erste Mal weg. Nach Neapel. Da hatte sie schon zwei Töchter von verschiedenen Männern und fand, dass sie irgendwohin muss, wo man Mütter nicht so in die Pflicht nahm wie in Saló. „Es ist so anstrengend: Die Mutter, immer die Mutter, und die Bürgersteige so eng, wenn du den Kinderwagen schiebst.“ Hätte sie gewusst, dass in Berlin die Bürgersteige breit sind, sie wäre früher gekommen.

Als sie drei Töchter hatte, zog sie auf die Insel Procida unweit von Neapel. Dort sei es schön gewesen für die Kinder, weil für diese jeder ein Freund war: die Bäckersfrau, der Carabiniere.

Ihre jüngste Tochter war zehn, als sie della Fonte fragte, ob Adoptiveltern ihre Kinder so lieben können wie richtige Eltern. Als della Fonte bejahte, sagte sie, dass sie zu ihrem Vater ziehen wolle. Die älteste Tochter wollte auch ausziehen. „Ich ließ beide gehen.“ Für sich aber dachte sie: „So, ich will jetzt eine schöne Arbeit.“ Sie fand eine in einem Schöne-Dinge-Laden. „Dort habe ich gelernt, dass Schönheit nicht auf den Dingen, sondern in den Dingen liegt.“ Denni traf sie bei dem Job auch.

Schreiben Sie an: muell@taz.de

Die Essecke: Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge – oder trifft Menschen, die das tun. Außerdem im Wechsel: Autoren der taz kochen mit Flüchtlingen, Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens, und Philipp Maußhardt speist in großen Runden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen