■ Schöner Leben: Sind so kleine Wörtchen
Schöner Leben
Sind so
kleine Wörtchen
Heute ein Appell, flammend und sengend wie selten einer: Menschenskinder, schützt das „O“! Ja, das „O“! Macht es nicht gänzlich alle, es gibt ja kaum noch drei Exemplare. Ja wirklich, Grobiane, das kleinste unsrer Wörtchen ist dem Verdämmern nah. Denkt wenigstens, Schluderer, an eure Kinder, von denen wir die Sprache nur gepachtet haben!
Durch die Jahrhunderte war es der Inbegriff der Poesie, das „O“. Es erblühte aus der Verzückung des Dichters, und es fand seine Erfüllung in den Worten „O du fröhliche, o du selige!“ Was aber liest man heute an seiner Statt? „Oh“, „oh“ und nochmals „oh“. „Oh Himmel“ und „Oh Jammer!“ Wie klingt uns das? Es klingt wie „Oh, schon so spät?“ oder „Jau, du bist das!“ So ist die Situation. Bald wird man singen: „Hach, du fröhliche, huch, du selige“. Dann fährt der Würgeengel hernieder.
Ich sage also feierlich und beizeiten: O Mensch, wenn du es vollends verlerntest, zwischen Ausruf und Anrufung zu unterscheiden, wie willst du dereinst vor deinen Richter treten? Mit einem hingesäuselten „Oh, Gott!“ oder wie? Himmelschreiende Dresche wirst du kriegen, Flegel, bis dir das angemessen flehentliche „O“ wie von selber entweicht! Manfred Dworschak
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