■ Schöner Leben: Ente in Seenot
Geräusche locken an. Zumal, wenn man sonst nichts zu tun hat. So wie am Sonntag beim Spaziergang an der Weser. Der Himmel dräute in Moll und Nolde, die Menschen freuten sich am dazwischenfunkenden Blau wie an ihrem Schnipsel Freizeit. Hunde trollten, Kinder tollten, Singles wollten, Verliebte träumten. Alles hatte seine Sonntagsnachmittagsspaziergangsordnung. Und wie, als hätte ein göttliches Wesen seinen Spaß an dieser Choreografie, ertönten unter den Weserterrassen gar liebliche Gitarrenklänge.
Gerade wollte sich das romantische Seelchen zu voller Blüte entfalten, da kam es, dieses Geräusch: Es quäkte wie eine Ente in höchster Seenot! Mußte man retten? Mußte man sich der Jacken entledigen und in bitterkalte Fluten stürzen? Flugs dem Sound gefolgt, das verlangen Neugier und Erziehung. Doch statt auf eine Ente in Seenot fällt der Blick auf einen einsam musizierenden Asiaten am Gestade der Weser. Er wringt seine Klarinette und schüttelt den Kopf, als wollte er sagen: Eben hat es noch geklappt. Wieder hebt er sein Instrument an die Lippen und – oh schaurig ist's, an der Weser zu stehn!
Nun weiß man ja, daß Asiaten sich mit allerlei Privatem in Parks und öffentliche Flächen wagen. Und tatsächlich scheint den mutigen Klarinetten-Dilettanten nichst weniger zu interessieren als die sich um ihn sammelnde Menschenmenge. Unverdrossen bläst er neue Kanalorgien in die Luft, dazwischen sind jetzt einige Fetzen von „Stille Nacht“zu erkennen. „Mama, warum macht der das“, will ein Stöpsel wissen. „Ich weiß nicht“, antwortet Mama so ehrlich wie sie kann und zieht ihren Nachwuchs weiter. Wer weiß, vielleicht handelt sich's ja doch um Kunst, und sie wird heimlich gefilmt.
Derweil hat sich selbst der Himmel verfinstert. Nachdem ich mich abgewendet und ein Stück Weg zwischen den Musiker und mich gebracht habe, ertönt von hinten plötzlich eine leidlich gespielte Klarinetten-Melodie, „God save the queen“. Ich wußte doch, daß es galt, jemanden zu retten: nämlich mich. dah
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