: Schöne Männer – harte Frauen
■ Allen Ginsberg und Kathy Acker als lesendes Kulturprogramm im Ballroom des Gemeindehauses
Im letzten oder vorletzten Jahr beschwerten sich einige, daß bei den Jüdischen Kulturtagen die Gegenwart doch ein wenig zu kurz kommen würde. Um auf dem Stand der Zeit zu sein, lud man deshalb in diesem Jahr die verdienten Popveteranen Kathy Acker und Allen Ginsberg zum Lesen ein: ein irgendwie doch sentimentales Unternehmen, das allerdings ganz gut in die xte Beat- oder Hippierenaissance paßt, an deren literarischen Beginn vor fast vierzig Jahren „The Howl“ als lyrischer Gegenpart zu Kerouacs „On the road“ stand.
Schon in dem Prototyp aller späteren sich irgendwie genialisch gebenden Literatur dominierte eine eher apokalyptische Kriegsstimmung, in der der Dichter als Held durchs Überleben gestärkt (Burroughs leitete mit dem Mord an seiner Frau ja ganz real seine Karriere ein) auf die gefallenen Freunde herunterschaut: „Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom / Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt (...)/ mit Träumen, mit Drogen, mit Wahnvorstellungen, Alkohol/ und Schwanz und endlosem Rumficken/ unvergleichlich blinde Straßen mit zuckenden Wolken und/ Blitzen im Hirn (...) Visionen! Vorahnungen! Halluzinationen! Wunder! Ekstasen! alles den amerikanischen Bach runter!“ etc.pp.
Als er 1956 seinen einzigen Nummer-1-Hit schrieb, war der schwule Beatveteran Ginsberg bereits 30. Als wir Ende der Siebziger als haschsüchtige Kleinstadtteenager die Beatniks uns zum Vorbild machten, schien uns das schon ein bißchen altmodisch zu sein. Wenigstens drehte sich auch bei ihm die Küche „in einem Rad schwindelnden Erlebens“. (Zuweilen kotzte auch jemand. Der setzte sich dann ans geöffnete Fenster und bekam statt einer Erleuchtung eine nette Erkältung.)
Eher der Name als die Texte tauchte in den achtziger Jahren dann vermehrt wieder auf. Mit Tom Waits erlebten die Beatniks als Begriff zumindest noch einmal eine Renaissance. Anfang der 90er wurde die sentimentale Männerfreundschaft zwischen Burroughs, Kerouac und Ginsberg noch einmal in dem unsäglichen Kunstgewerbestreifen „Naked Lunch“ (Cronenberg) zitiert. Während Burroughs in den Achtzigern als Altjunkie durchgehend „in“ war und mit Wilson zusammen in Hamburg inszenierte, verschlug es Ginsberg im Februar 1985 nach Ostberlin, wo er auf Vermittlung von Sascha Anderson in der Wohnung von Ekkehard & Wilfriede Maaß las. Daran, wie Ginsberg in den Prenzlauer Berg „einritt“, denkt Christoph Tannert, Projektleiter des Künstlerhauses Bethanien, immer noch mit leuchtenden Augen.
Als literarisches Punkmädchen, jünger und moderner als Patti Smith, trieb währenddessen Kathy Acker, Jahrgang '46, durch die westliche Popwelt. 1985 erschien ihr 1978 in Amerika veröffentlichter „New Wave Roman“ „Harte Mädchen weinen nicht“ in der Heyne-Scene-Taschenbuchreihe „für Leser, die sich noch Alternativen vorstellen können. Andere Lebensformen, Musik, Gegenkultur, neue Ausdruckformen.“ Ein erzählender Roman war das zwar genausowenig wie ihre folgenden Veröffentlichungen (in denen sie z.B. um „herauszufinden, wer ich nicht war“, Texte von Mörderinnen nahm und sie in die erste Person umschrieb); eher eine durchs existentialistische Pathos zusammengehaltene Versammlung diverser Aufzeichnungen, Szenen, Skizzen; Sexsüchte, Inzeste, Gewalt, leicht manirierte Intellektualismen über Ich/Text und verschwindende Subjekte, hübsche Passagen – „Er steckte seine Hand tief in meine Fotze und sagte mir, ich sei okay. Er stach eine Nadel in meinen Arm und bemühte sich, nett zu mir zu sein“, klappentexttaugliche Parolen – „Wir müssen noch weiter gehen und wahnsinniger werden“ und Baudrillard-Variationen: „Und wohin jetzt, nachdem wir den Sex abgehandelt haben?“ Kathy Acker ist – und das war in den Achtzigern vielleicht wichtiger als das Geschriebene – eine großartige Rhythmikerin (das geht in den Übersetzungen ein wenig unter) und eine sehr begnadete hymnische Vorleserin; ein Star auf der Bühne, in den sich bei ihren großartigen Auftritten im West- Berlin der 80er so ungefähr jeder (und bestimmt auch Kiev Stingl) verliebt hatte. Detlef Kuhlbrodt
Kathy Acker liest am 17.11., Allen Ginsberg am 21.11., jeweils um 19.30 Uhr, im Ballroom / Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstraße 79/80.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen