Schnitzlers allerletzter Schwarzer Kanal

ARD, 23 Uhr: DDR-Fernsehstar Karl Eduard von Schnitzler, porträtiert vom Ostdeutschen Rundfunk (ORB)  ■ Von Manfred Kriener

Eintausendfünfhundertneunzehnmal moderierte er den Schwarzen Kanal, die wöchentliche Abrechnung der DDR mit dem „hemmungslosen, politisch-kriminellen Journalismus“ der kapitalistischen BRD. Nach der Wende wurde er davongejagt. Und schnell war er einer der meistgehaßten Menschen in Ostdeutschland. Er traute sich nicht mehr aus seinem Haus, wurde beim Einkaufen, beim Tanken und beim Spazierengehen angepöbelt. Bis heute geht er nicht ins Theater, das er liebt. Jetzt hat ihn das Fernsehen wiederentdeckt. Weil der Schwarze Kanal ein Stück DDR-Identität war und die Auseinandersetzung damit überfällig ist, haben sich Thomas Grimm und Lutz Rentner den ehemaligen Anchorman des DDR-Fernsehens vorgeknöpft: Karl-Eduard von Schnitzler. Herausgekommen ist weder eine Abrechnung mit Schnitzler noch mit dem Schwarzen Kanal. Eher ein Porträt des Journalisten.

Man wollte nicht mit dem Messer auf den heute 72jährigen Kommunisten losgehen, erklärte einer der Autoren vergangene Woche bei der Pressevorführung des Films die Strategie. Ein Messer ist tatsächlich nicht nötig, die „Entlarvung“ Schnitzlers geschieht automatisch und unvermeidlich. Dafür sorgen die grandiosen Zitate aus alten Sendungen.

Unfreiwillig ist der Kanalarbeiter zum großen Humoristen avanciert. Seine geifernden Kommentare sind herrliche Lacher. Und immerhin ein Lachen, das niemandem mehr im Halse steckenbleibt. Und wer wußte schon, daß Schnitzlers frühe Rundfunk-Kommentare „ein einziger Aufschrei nach der deutschen Einheit“ waren? Aber keine Angst: Schnitzler ist bis heute weder gewendet noch einsichtig.

Wir erleben ihn mit Bierflasche und Pantoffeln vor dem Fernseher, beim Scrabble, beim Klavierspielen, als Knäblein, als Konfirmanten, als Intendanten und: Er kriegt noch einmal eine allerletzte Chance zu einem allerletzten Schwarzen Kanal. Was er daraus macht, wird nicht verraten. Seine selbstgewählten Themen sind die Hauptstadt Berlin und Wolf Biermann. Am Ende liest er Mörike. Hinreißend!

Die Journalisten bissen sich bei der Pressevorführung gewohnt kleinkariert daran fest, daß der Rentner aus Zeuthen für seine Mitarbeit an der Sendung eine „minimale Aufwandsentschädigung in unbekannter Höhe“ erhalten hat. Ansonsten wurde erleichtert zur Kenntnis genommen, daß die Pawlowschen Reflexe im öffentlich-rechtlichen Anstaltswesen noch funktionieren. Die ersten Proteste gegen den Schnitzler- Beitrag kamen aus dem Verwaltungsrat des Ostdeutschen Rundfunks schon zu einem Zeitpunkt, als noch gar niemand wußte, wessen Inhalts der Film denn sein werde.

Daß der Film recht ansehnlich wurde, ist eher das Verdienst des knorrigen Alten als des Autorenteams. Mitarbeiter Schnitzlers, Freunde, Nachbarn oder gar ehemalige ZK-Größen kommen nicht zu Wort, auch das gemeine Volk wird nicht nach seiner Meinung gefragt. Der einzige, der redet, ist Karl-Eduard. Warum das so ist, verrieten die Autoren am Ende der Pressevorführung. Gleichzeitig gaben sie damit einen bemerkenswerten Nachhilfeunterricht in Sachen Meinungsfreiheit. Frage: „Warum wurde denn niemand von den Fernsehleuten zu Schnitzler befragt?“ Antwort: „Die hätten ihn doch nur besudeln können. Hätten sie etwas anderes gesagt, wären sie ihren Job losgeworden.“ Gut, daß Schnitzler das nicht gehört hat.

Im Anschluß an den Schnitzler- Film sendet der ORB im dritten Programm eine Gesprächsrunde zum Thema „Journalismus in der Diktatur“. Zu den Gästen gehört auch das West-Pendant Gerhard Löwenthal.