: Schnitzel und Steaks
In China verschwindet die traditionelle Gemüseküche
PEKING taz ■ Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Die Schlankheit im Alter ist mehr wert als tausend Goldstücke.“ Und wirklich: Wer an einem heißen Sommerabend durch die Pekinger Altstadt zieht, wo die Alten leicht bekleidet mit einem Palmenfächer in der Hand vor ihren Hofhäusern hocken und plaudern, entdeckt viele nackte, aber kaum dicke Bäuche.
Das ist kein Zufall. „Die Ernährung der Chinesen zählt dank unserer traditionellen Essgewohnheiten zu den gesündesten der Welt“, erklärt Chen Chunming, eine ältere Dame mit weißgrauem Haar, die als einzige Asiatin im Vorstand der von Bill Gates gegründeten „Globalen Allianz für bessere Ernährung“ arbeitet und als angesehenste Ernährungswissenschaftlerin Chinas gilt. Chen ist 78 Jahre alt, klein, schlank und gesund. Sie erzählt, dass die Traditionsküche in China zu zwei Dritteln aus Grundnahrungsmitteln wie Reis und Getreide bestehe. Hinzu käme, dass der Gemüseverzehr an der Weltspitze läge: 120 Kilogramm pro Kopf im Jahr. „Das ist allein unserer Kochkunst zu verdanken“, glaubt Chen. Denn statt etwa Gemüse wie im Westen zu zerkochen, wird in China alles im Wok kurz gebraten, wobei die Zutaten nicht an Nährwert verlieren.
Auch der im Vergleich zum Westen geringere Fleischverbrauch sei Folge der Zubereitung: „Man schneidet bei uns Fleisch in feine Streifen. Riesenstücke wie Steaks oder Schnitzel sind nirgendwo zu haben“, argumentiert Chen sehr praxisnah – und doch sind ihre Worte schöne Theorie.
Längst belegen Statistiken, dass auch in China der Fleischkonsum rasch zunimmt, während der Getreideverzehr sinkt. „Die Europäer sind Fleischfresser, wir sind immer noch Grasfresser“, lautet ein selbstironischer Spott, der für viele Chinesen erklärt, warum etwa die eigenen Fußballer international nichts gewinnen können.
Chen kann darüber gar nicht lachen: „Die Fettleibigkeit ist auch in China ein gesellschaftliches Problem geworden: 25 Prozent der Bevölkerung hat Übergewicht.“ Ursache dafür sind nicht nur veränderte Ernährungsgewohnheiten, sondern auch die Modernisierung des Alltags. Wer früher auf dem Feld arbeitete, steht nun am Fließband. Die Pekinger Alten in ihren Hofhäusern aber betrifft das nicht: Sie sind schon frühmorgens zum Tai-Chi wieder wach.
QIANG ZHAOHUI, GEORG BLUME