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■ SchnittplatzDes Kaisers HDTV

Gebannt wie der Hofstaat im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ blickten die Vertreter der elf EG-Staaten auf den neuen „hochauflösenden“ Fernseher, den die Industrie der Gemeinschaft da ins Wohnzimmer des europäischen Häuschens gestellt hatte. Und nur den naseweisen Engländern ist es zu verdanken, daß das dreiste Täuschungsmanöver von Philips, Nokia, Thomson und Co. sich allmählich dem Ende zuneigt.

Es grenzt schließlich schon an Subventionsschwindel, mit welchen Winkelzügen die führenden Konzerne der europäischen Unterhaltungselektronik- Industrie seit nunmehr sieben Jahren eine Milliarde nach der anderen aus öffentlichen Kassen abzocken, um damit ein neues – in Wirklichkeit bereits veraltetes (weil nicht digitales) – Fernsehsystem zu etablieren, das den Konkurrenzentwicklungen aus Japan Paroli bietet. Letzte Woche sollten noch einmal 1,7 Steuer-Milliarden aus EG-Kassen dazukommen, wären da nicht die Engländer gewesen, die auf einer eigens einberufenen Notsitzung der zuständigen Postminister standhaft ablehnten.

Die Hofschranzen aus Paris und Den Haag (beziehungsweise Eindhoven) heulten laut auf. Der französische Postminister wagte gar historische Vergleiche: „Das ist ein Vorgang ohne Beispiel in der Geschichte der EG: Ein einziger Mitgliedsstaat blockiert den einmütigen Willen aller elf anderen.“ Doch so einmütig ist der Wille gar nicht. Die meisten Mitgliedsstaaten haben sich nur mit Bauchschmerzen vor den Karren der Industrie spannen lassen. Denn selbst bis zu den begriffsstutzigsten Telekommunikationsbürokraten ist inzwischen die Kunde vorgedrungen, daß der „europäische Weg“ zu einem hochauflösenden Fernsehen (HDTV) allmählich in eine Sackgasse mündet. Schließlich steht das digitale Fernsehen bereits vor den EG-Toren.

Nur mit dem Subventionsstopp wird die europäische Industrie zum Umdenken gezwungen werden können. Und das ist sogar in ihrem ureigensten Interesse: Es sieht nämlich ganz und gar nicht danach aus, daß die VerbraucherInnen mitziehen und wie wild die neuen Fernsehgeräte zu Preisen um die 10.000 Mark kaufen. Sie warten auf „Systemsicherheit“, auf den Zeitpunkt, an dem klar ist, daß das nagelneue Empfangsgerät nicht schnell wieder veralteter Techno-Schrott ist. Die schon angeschlagene europäische U-Elektronik-Industrie würde einen weiteren Milliarden-Flop kaum noch verkraften.

Die industriepolitische Zielsetzung der EG, über die HDTV-Förderung die Industrie wieder auf Vordermann zu bringen, wird sich als kontraproduktiv erweisen, wenn die EG das Londoner Nein nicht als Chance für einen Neuanfang begreift. Jürgen Bischoff

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