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■ SchnittplatzWo Deutschland steht

Sat.1-„Informations“-Direktor Heinz Klaus Mertes war, wie sein Pressetext es ausdrückte, „eine Lücke aufgefallen im Großangebot von rund 200 Sendungen zum Kriegsende“. Da hieß es am Sonntag abend natürlich mit Mut in die Lücke: Durchbruch „der besten Köpfe von Sat.1“ an der publizistischen Front! Sondersendung!

Und weil das Selbstbewußtsein von Sat.1 auf dem „Informations“- Sektor ganz zu Recht sehr klein ist, kam der Titel entsprechend großkotzig daher: „Neue Stunde Null – Noch fünfzig Jahre Frieden für Deutschland?“ Zusammen mit seinem Freund Kanzler Kohl und dessen Hofhistoriker Michael Stürmer sowie anhand „fiktiver Nachrichten vom 8. Mai 2045“ fragte sich Moderator Mertes, „wo Deutschland in 50 Jahren stehen“ werde: „Ewiger Frieden oder Weltkrieg möglich?“ Wie „aggressiv“ ist Rußland? Wie gefährlich ist das „neue Inseldenken“ der USA? Wie bedrohlich ist der „Vormarsch des islamischen Fundamentalismus“? Schließlich noch ein paar enzensbergerhafte Einblicke in den „alltäglichen Bürgerkrieg“ sowie eine Reportage über eine „deutsche Wehrsportgruppe“ auf der Insel Rügen.

Zwar blieb für das alles nicht genug Zeit, doch für einen journalistischen Selbstmord im Sendebunker reichte es immer noch. Stammtischmäßig wurde das Szenario Weltkrieg III zusammengeschnipselt (Russenangst & Islamhetze), mit wirren Live-Schaltungen in den stockdunklen Hyde-Park oder auf den Soldatenfriedhof Arlington. Historiker Stürmer warnte davor, sich wieder mit England anzulegen. Historiker Kohl sagte: „Die Führungsrolle ist da.“ Zusätzlich reingepreßt: aktuelle Gedenkberichterstattung, Ausblicke auf den Montag und oben drauf noch die Pariser Präsidentenwahl. Man fühlte sich an eine dieser paranoiden Sendungen aus dem Offenen Kanal erinnert.

Daß der Erkenntniswert bei Null und die Sendezeit mit 23.30 Uhr wirklich spät genug lag, tröstete nicht wirklich. Denn Mertes bleibt ein gefährlicher Typ. Das zeigte seine Allensbach-Umfrage: „Halten Sie es für möglich, daß Deutschland wieder in einen Krieg verwickelt wird?“ Ach ja: 59 Prozent glauben übrigens wirklich dran.Hans-H. Kotte

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