■ Schnittplatz: Späte Einsicht
Tagungen haben ihre eigenen Gesetze. Besonders jene, die etwas abgelegen, auf dem Lerchenberg zum Beispiel, stattfinden. In der Klausur der medialen Abgeschiedenheit mutieren selbst kleinste Waghalsigkeiten, minimalste Versprechungen zu großen Gesten, aufregenden Perspektiven.
So war es auch Anfang der Woche bei den 29. Mainzer Tagen der Fernsehkritik. Da brachte Intendant Dieter Stolte höchstselbst drive in eine Veranstaltung, die bisher zuförderst darauf angelegt war, einmal mehr innezuhalten. Man hatte sich also nicht viel versprochen von dem Thema „Wohin treibt das Fernsehen?“. Und erst recht nicht von der Elefantenrunde des ersten Tages, als sich Fritz Pleitgen und Dieter Stolte ans Podium begaben, um sich befragen zu lassen, was das Fernsehen der Gesellschaft denn nun eigentlich schuldig sei.
Die Herren von ARD und ZDF haben so ihre Probleme mit dem Thema. Ihr Generalargument, sie allein könnten die terrestrische Verbreitung in Grundversorgungsdimensionen sichern, ist obsolet geworden, seit auch RTL und Sat.1 zu 95 Prozent per Antenne zu empfangen sind. Die „Integration der Gesellschaft“, so klärte LFR- Direktor Norbert Schneider sogleich, sei wohl ARD und ZDF auch kaum mehr möglich – wenn schon die Soziologen die Übersicht über die vielen disparaten Milieus verloren hätten. „Wir sind das Forum!“ erklärte Fitz Pleitgen trotzdem mutwillig trotzig, und es klang ein wenig wie „Wir sind das Volk!“
Dann aber nahm der Hausherr die Fäden der Diskussion in die Hand, fragte sich seinerseits „Worauf kommt es an?“ und erklärte sogleich: Da habe man am Gründonnerstag um 22.15 Uhr ein Feature zur „Eurowährung“ gesendet, meinte Stolte. Mit beachtlicher Einschaltquote und „didaktisch wertvollem“ Inhalt. Solche wichtigen Themen müsse und werde (!) man künftig in der Primetime plazieren. Darauf käme es jetzt an.
Wir hören das gern und werden es uns merken. Vor allem auch, daß Stolte (seit 1976 ZDF-Programmdirektor, seit 1982 Intendant und also seit 20 Jahren für die ZDF-Programmplanung zuständig) vielleicht zuförderst dafür verantwortlich ist, daß diese Einsicht ein paar Jahre zu spät kommt.klab
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