■ Im Wortlaut: Schmuckgeschäft
Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
im Rahmen der Aktion „Sauberes Leben und Einkaufen in Berlin“ wird die Ordnungsbehörde Daten zu Ihrer persönlichen sozialen Lage erheben.
Für die rechtschaffenen Berliner Bürger wird es immer unattraktiver und schwieriger, öffentliche Anlagen und Einkaufszentren zu besuchen, ohne von dem gemeinen Pöbel belästigt zu werden. Eingesetzten Wachschutzfirmen fällt es in Zusammenarbeit mit der Polizei zwar leicht, ausländische Bettler, sogenannte „Punker“ und heruntergekommene Obdachlose aus repräsentativen Anlagen zu entfernen. Ebenso wichtig ist es jedoch, die Identifizierung von unauffälligen Asozialen wie Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und mittellosen Rentnern zu gewährleisten.
Unsere Stadt soll ein Schmuckgeschäft werden, und in einem Schmuckgeschäft werden keine arbeitslosen Kunden benötigt.
Nach dem Senatsbeschluß 97-225-33 vom 22. Mai 1997 wird die Stadt in Zonen aufgeteilt. Die Zugangsberechtigung für die einzelnen Zonen richtet sich fortan nach Vermögenshöhe, tadellosem Erscheinungsbild, Gesundheitszustand und sozialem Stand.
Nach Auswertung Ihrer persönlichen sozialen Lage erhalten Sie von Ihrem Ordnungsamt eine Chipkarte, die Ihnen Ihre legalen Aufenthaltsgebiete in den Bereichen in der Stadt Berlin zuweist.
Nach § 23 DatAnfGB sind Sie verpflichtet, bis zum 11. Juni 1997 wahrheitsgemäße Angaben zu folgenden Fragen zu machen und die entsprechenden Belege beizufügen. Verstöße werden nach § 7 Abs.3 SOG mit einer Geldbuße bis zu 15.000 DM oder 1–5 Jahren Freiheitsentzug geahndet. Das Betreten von Zonen, zu denen Sie ab dem 1. Juli 1997 keine Zugangsberechtigung nachweisen können, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren geahndet.
– Beruf und Arbeitsort,
– Vorstrafen,
– Gesundheitszustand,
– Ausbildung,
– Familiengröße, sittliches Leben. Wir weisen Sie darauf hin, daß Sie auch ein aktuelles Photo beilegen müssen.
Hochachtungsvoll, Ihr Staatssekretär in der Innenverwaltung, Kuno Böse
Wortlaut eines in der Stadt kursierenden angeblichen Briefes der Innenverwaltung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen