: Schmierereien in Neustadt
HipHop mit beschleunigtem Zufallsgenerator: Mit Prefuse 73 beginnt heute die dritte und letzte Staffel des Club Neustadt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz
Zum letzten Mal in diesem Jahr bauen sie also die Neustadt in die Volksbühne. Da sollten Bühnenbildner Bert Neumann und seine Ordnungshüter aber aufpassen: Dass nach der Show von Prefuse 73 nicht überall Graffiti in der Theaterstadt leuchten. Und dass nach Dälek und The Bug einen Tag später die Bude überhaupt noch steht.
Prefuse 73 nämlich mag aussehen wie Jesus. Dennoch klingen seine Aufnahmen schnell und präzise. Die Beats greifen. Darüber rattern mikroskopisch kleine Samples in der Geschwindigkeit, mit der man einen Reißverschluss zuzieht. Das klingt dann wie diese neueren Graffiti-Stile aussehen, die vom Produkt-Design oder ähnlichen Brotberufen gereifter Sprayer gelernt haben. Scott Herren füttert seine Maschine mit Jazz-Gitarren, mit Computerspiel-Musik aus Commodore-Zeiten, mit HipHop alter Schule. Beliebig klingt sein Hochgeschwindigkeits-Zitieren dennoch nie. Jedes Stück, ob mit oder ohne MC, ist schnell als Prefuse 73 erkennbar.
Denn wenige Produzenten können eine aus derart vielen Materialien bestehende Musik in diesem Stil schweben lassen. Wegen der Methode der Collage wird Prefuse 73, der zwischen Barcelona und Atlanta pendelt, gern in einen Topf mit Akufen geworfen, der Referenz des Techno mit Zufallsprinzip. Prefuse 73 aber besteht auf einen entscheidenden Unterschied: Während der CutUp-Techno des Kanadiers Akufen mithilfe neuester Softwares hergestellt wird, blickt Prefuse 73 auf den Maschinenpark der alten Schule. Zwei Plattenspieler, ein Sampler, das reicht.
Die Ergebnisse strotzen nur so vor der Kraft der Negation, die man in der Volksbühne so schätzt: Sounds werden ihren Bestimmungen gestohlen, Unpassendes aneinander gefügt. Und da die Einzelbestandteile dieser Musik in ihrer Größe einem Partikelchen Sprühfarbe ähneln, dürfte es keinen verwundern, wenn sie sich in Form von Gemälden manifestieren würden.
Die Intendanz sollte in diesem Fall noch warten, bevor sie den Graffiti-Entferner wirklich einsetzt. Denn die größte Bedrohung wartet am Samstag, wenn The Bug den Bass zückt. Der Londoner Journalist, Grafiker, Produzent etc. Kevin Martin ist das, was man einen „Aktivisten“ nennt, und als The Bug aktiviert er seinen gesamten Hass. Da kann man sich nur wünschen, dass bis zum Abschlusskonzert der letzten Staffel alles stehen bleibt. Schließlich war es doch ein unverzichtbares Jahr im Club Neustadt, ein Jahr, das eine Zerstörungsschlacht am Ende nicht verdient hätte. CHRISTOPH BRAUN