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Archiv-Artikel

Das Umerziehungsprogramm der BVG zeitigt Erfolge Schluss mit lustig!

Der harte, gnadenlose Einsatz von BVG-KontrolleurInnen hat ungeahnte Spuren in der Berliner Schwarzfahrergemeinde hinterlassen. Dies bestätigt eine Spontan-Umfrage der taz.

Die Standardantwort auf die Frage: „Fährst du schwarz?“, lautet in zehn von zwölf Fällen: „Nicht mehr!“ Sie sagen nicht: „Nein“. Sie sagen: „Nicht mehr.“ Die Befragten bestätigten mit ihrer Antwort unumwunden zwei Dinge: Zum einen, dass sie früher schwarzgefahren sind, und zum anderen, dass sie diese illegale Beförderungspraxis neuerdings aufgegeben haben.

Die meisten Befragten erklären ihr geändertes Verhalten damit, dass ihnen „zu viel kontrolliert wird“. Sie glauben nicht, dass sie wieder mehr schwarzfahren werden, falls die BVG nun weniger Kontrolleure in den Einsatz schickt. Die ehemaligen SchwarzfahrerInnen können deshalb als gelungen umerzogen betrachtet werden.

Viele ertragen die Grobheit der Kontrolleure nicht. „Zu stressig mit den Kerlen“, meint eine, die früher vor allem dann schwarzgefahren sei, wenn sie wütend war. „Egal, auf wen ich wütend war. Ich hab mich besser gefühlt, wenn ich schwarzfahren konnte.“ Auf die Frage, welche Strategie sie jetzt anwende, um sich besser zu fühlen, antwortet sie: „Ich tue so, als ob ich schwarz fahre, damit ich wenigstens in Übung bleibe.“ Man müsse ja auch in Übung bleiben, denn hin und wieder zwinge einen die BVG zum Schwarzfahren, wenn die Automaten mal wieder streikten oder weit und breit niemand einen zehn Euro-Schein wechseln könne. „Neulich waren die Schlitze beider Fahrkartenentwerter verklebt. Schlimm ist, dass die Kontrolleure einem in solchen Situationen nicht glauben. Das ist so demütigend.“

Andere hadern weniger mit ihrer ungewohnten Ehrlichkeit. Sie glauben, dass ihre neue Schwarzfahrabstinenz auch etwas mit Bequemlichkeit zu tun haben könnte. Viele sind zudem aufs Fahrrad umgestiegen, weil die Fahrpreise generell als zu teuer angesehen werden.

Von dem befragten Dutzend früherer Schwarzfahrer halten nur zwei an ihrer alten Praxis fest – wenn auch in modifizierter Form. Anders als früher entscheiden sie nun situativ, ob sie sich „dem Nervenkitzel“ hingeben oder nicht. Beide haben dabei persönlich Taktiken entwickelt, wie sie „unter Erschleichung einer Beförderungsleistung“ am sichersten von Punkt A nach Punkt B gelangen. Da sie diese allerdings nicht in der Zeitung lesen möchten, kann hier lediglich die Metaebene bedient werden. Beide Schwarzfahrer jedenfalls beschäftigen sich mit der psychologischen Dimension des Kontrollierens. Sie versuchen die Strategien zu verstehen, die sich jemand zurechtlegt, der zum Zwecke des Lohnerwerbs ihm nicht bekannte Menschen kontrolliert. Ihre Erkenntnisse nutzen sie, um Kontrolleure zu erkennen, bevor diese einsteigen. Woran sie sie erkennen, sagen sie nicht.

Sollten die beiden übrigens wider Erwarten erwischt werden, fühlen sie sich nicht als Verbrecher, zumal sie sich des Mitgefühls der Mitreisenden sicher sind. „Zum Großstadtleben gehört es, dass man ab und zu schwarzfährt, falsch parkt oder mit dem Fahrrad auf dem Trottoir unterwegs ist“, bringt einer die urbanen Unwägbarkeiten auf den Punkt. Waltraud Schwab