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Schluss für Radio MultikultiEnde. Konjez. Challas. Fin.

In der Silvesternacht wird Radio Multikulti abgeschaltet. Das Aus für den Sender ist nur der vorläufige Höhepunkt des Sparkurses beim RBB.

Einundzwanzig Sprachen: Mehr Vielfalt gab es nie im deutschen Radio. Doch damit ist nun Schluss. Bild: screenshot:www.multikulti.de

In dieser Silvesternacht werden in Teilen des Berliner Hauses des Rundfunks mehr Tränen als Sekt fließen: Nach 14 Jahren wird zum Jahreswechsel Radio Multikulti abgeschaltet. Ins Leben gerufen wurde der Sender 1994 von SFB und Bundesarbeitsministerium als Reaktion auf die Erkenntnis, dass Deutschland sich nicht mit Gastarbeitern, sondern mit Einwanderern auseinanderzusetzen hat - und auf die wachsende Zahl rassistischer Anschläge zu Beginn der Neunzigerjahre.

Das Sendestudio, in dem am Mittwoch um 22 Uhr das Rotlicht ausgeht, dürfte einiges mehr von der Welt gesehen haben als die meisten anderen. Radio Multikulti sendet auf Deutsch und in zwanzig weiteren Sprachen. Skandinavier sind ebenso unter den MitarbeiterInnen wie Singhalesen. Diese bunte JournalistInnenmischung holte sich die ganze multikulturelle Welt Berlins ins Haus. Und veränderte sie: Radio Multikulti verhalf MigrantInnen zu einer Stimme in der deutschen Medienlandschaft. Und bot Raum für ihren Beitrag zur Kultur- und Musikszene. Vieles von dem, was vor Jahren ausschließlich bei Radio Multikulti zu hören war, ist heute Mainstream bis Kult: von Culcha Candela über Seeed bis zu Wladimir Kaminer, dessen Russendisko auf Radio Multikulti ihren Anfang nahm.

Das ist viel, aber manchen nicht genug. Nach der Fusion der öffentlich-rechtlichen Landessender Berlins und Brandenburgs zum RBB unter der neuen Intendantin Dagmar Reim begann das befürchtete große Abzählen: Sieben Hörfunkwellen betrieb die Zweiländeranstalt - mindestens eine, eher zwei zu viel für den finanzschwachen Sender. Sinkende Gebühreneinnahmen führten endgültig zum großen Sparbeschluss: 54 Millionen Euro weniger will der RBB in der kommenden Haushaltsperiode ausgeben.

Radio Multikulti muss als Erstes dran glauben. Im Mai kam der Schließungsbeschluss. Die Argumente einer sofort gegründeten HörerInneninitiative, dem Freundeskreis Radiomultikulti, dass es geradezu die Aufgabe gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Medien sei, solche Minderheitenprogramme auch entgegen wirtschaftlichen Erwägungen aufrechtzuerhalten, der Hinweis auf die enorme Bedeutung von Integration erweichten die RBB-EntscheiderInnen ebenso wenig wie die vielen prominenten Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Kultur, die sich für den Erhalt aussprachen.

Ab Mittwoch ist Radio Multikulti Geschichte. Auf der Frequenz wird künftig der WDR-Sender Funkhaus Europa übertragen: kein adäquates Angebot für Berlin, wie Multikulti-Fans meinen. Die etwa 30 festangestellten MitarbeiterInnen der Welle bekommen neue Aufgaben im RBB. Von den etwa 100 freien MitarbeiterInnen gehen viele mit nicht mehr als dem Versprechen, ihre Beiträge künftig anderen RBB-Wellen anbieten zu dürfen - für freie JournalistInnen sowieso eine Selbstverständlichkeit.

Einige wollen einfach weitermachen: Mit Unterstützung des Freundeskreises Radiomultikulti wollen bisherige MitarbeiterInnen unter www.multikulti.eu ein Webradio starten: Zehn Minuten nach dem offiziellen Aus soll es auf Sendung gehen. Die Arbeit ist unbezahlt. Der RBB wird mit dem Schließen der Welle etwa ein Viertel der geplanten Sparsumme erreichen. Woher der Rest kommen soll, ist bisher noch unklar. Das große Abzählen in der Anstalt ist noch nicht vorbei.

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3 Kommentare

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  • NE
    Noch ein Kölner

    Es gibt da in Deutschland diese Achse des Bösen:

     

    München (schlechter Charaker) - Düsseldorf (charakterlos) - Berlin (Charakter aus Fisher-Price-Charaktermodellbaukasten für unter Dreijährige).

     

    Alles, was aus diesen drei Örtern kommt, ist von vornherein verdammenswert und sein Verschwinden jedesmal eine kleine Absolution für die Restrepublik.

  • HS
    Harald Singer

    Ich komme aus Köln, bin seit 9 Monaten in Berlin. Meine Meinung hierzu:

    1. Ich höre Radio im Auto oder morgens zum Frühstück. In Köln habe ich Funkhaus Europa (FE) gehört, hier Radio Multikulti (RM).

    2. Ich habe keinen Unterschied festgestellt. Da FE nicht für 15 qkm gesendet hat und RM auch nicht für 40 qkm Berlin, wird bis auf die fehlende Bezugnahme auf lokale Ereignisse, deren Integrationswirkung ich bezweifle, kein großer Unterschied auffallen.

    3. Da die meisten Radiohörer nicht den ganzen Tag ihr Gerät eingeschaltet lassen oder beim gleichen Sender bleiben, werden sie auch nicht mal merken, dass auf gleicher Frequenz ein anderer Sender läuft.

    4. Seit einem halben Jahr höre ich im RM nur Selbstbeweihräucherung und Trauerstimmung.

    5. Wenn es ein Integrationssender ist (war) und das Ziel ihrer Arbeit die Hörer sind (waren), so hätte ich erwartet, dass die Entscheidung, ob FE ein adäquater Sender ist, dem Hörer überlassen wird und diese zumindest angekündigt, wenn nicht gar willkommen geheißen werden.

    6. Die Solidarität unter den Kollegen wurde so hoch gehalten aber nicht mit den Kollegen aus NRW, mit denen man seit einem Jahrzehnt zusammenarbeitet.

    7. Auch wenn FE einige wenige Jahre nach RM auf Sendung ging, kann man sie nicht als "billige Kopie" niedermachen.

    8. Auch in diesem Artikel wird mit dem journalistischen Ausweichsatz "wie Multikulti-Fans meinen" FE die Kompetenz abgesprochen auch nur teilweise ein "Ersatz" zu sein, aber ein Webradio angepriesen.

    9. Ich hatte den Eindruck, dass der Protest gegen die Schließung sich mit dem Freundeskreis erschöpfte, weil die Berliner zwischen Radio-, Politik- und Stimmungsmachern sowie echten Hörern im Freundeskreis nicht unterscheiden konnten.

    10. Ein großer taktischer Fehler (aus integrationspolitischer Sicht) war, trotz besseren Wissens auf " alles oder nichts" zu setzen. Mehr lokale Berichterstattung, mehr aus der Region aber (dann leider doch) mit FE hätte mehr für die Hörer gebracht, als einen Berater für politische Kampagnen zum Sprecher zu machen, für den berufsbedingt der Weg das Ziel ist; je lauter der Knall umso erfolgreicher ist seine Kampagne, und wenn das Ziel nicht erreicht wird: Schicksal oder andere Umstände.

    11. Sicher war die Schließung aus integrationspolitischer Sicht ein schlechtes Signal ggü. der Mehrheitsbevölkerung, ein noch schlechteres insbesondere ggü. den Migranten. Dieses Signal wurde aber durch die Art der Kampagne lautstark in Leuchtbuchstaben vielfach verstärkt.

    12. Ich wage zu behaupten, dass die politische (!) Entscheidung zu dieser Kampagne der Integration mehr geschadet hat als die Entscheidung zur Schließung durch den RBB.

    13. Stetig ist nur der Wandel. Das gilt auch für den öffentlich rechtlichen Rundfunk und integrationspolitische Insrumente.

  • FS
    Florian Schubert

    Die Website des Freundeskreises multikulti (multikulti.eu) wird rechtzeitig zum Sendebeginn am 31.12. um 22:05 Uhr einen link zum neuen Internetradio MultiCult 2.0 schalten.

    Also um Fünf nach Zehn: Radio aus, Computer oder Internetradio ein!