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Schlichtung statt Schlafsack-Protest

■ Betriebsbesetzung in Elmshorner Machinenfabrik nach Tarifvertrags-Abschluß abgeblasen / Firma mit Treuhand-Geld aufgekauft

nach Tarifsvertrags-Abschluß abgeblasen / Firma mit Treuhand-Geld aufgekauft

In letzter Minute ist gestern ein Arbeitskampf und eine Betriebsbesetzung bei der Elmshorner Decksmaschinenfabrik (Ankerwinden) Steen abgewendet worden. Überraschend erklärte sich die neue Unternehmensleitung am Morgen bereit, mit der IG Metall einen Haustarifvertrag abzuschließen, durch den die Rahmenbedingungen des West-Tarifvertrags Schleswig-Holstein im Betrieb festgeschrieben werden.

Zeitgleich schlossen in Schwerin die Metallgewerkschaft und die Unternehmensleitung des KGW- Zweigwerks eine Haustarifvereinbarung ab, durch die der Ost-Tarifvertrag für Mecklenburg-Vorpommern in der Maschinenfabrik in Kraft gesetzt wird. Dieser Tarifvertrag, der unter anderem eine Angleichung der Ost- an Westlöhne vorsieht, war vor wenigen Wochen einseitig von „Nordmetall“ gekündigt worden. Seither versucht die IG Metall durch Warnstreiks, die Ost-Metallunternehmen zur erneuten Anerkennung des Kontraktes zu bewegen.

Wie berichtet, war das traditionelle Steen-Werk mit seinen 65 Beschäftigten vor zwei Wochen überraschend vom Schweriner Treuhand-Betrieb „KGW“ (300 Mitarbeiter) aufgekauft worden. Die neue Unternehmensleitung kündigte mittlerweile an, die Elmshorner Maschinenfabrik zum 31. März 1994 zu schließen. Produktionsanlagen und Knowhow sollen dann in den Osten verlagert werden.

Durch den unerwarteten Abschluß des Haustarifs kann die IG Metall jetzt die Schließung zumindest erschweren. Denn der Tarifvertrag enthält einen „besonderen Kündigungsschutz“ für ältere MitarbeiterInnen, wovon immerhin zehn Prozent der Steen-Belegschaft profitieren werden. Im Klartext: Dieser Teil der Belegschaft ist faktisch unkündbar beziehungsweise erhält bis zur Rente Lohnfortzahlung.

Auf einer Betriebsversammlung im Anschluß an den Tarifvertragsabschluß forderten die Steen-MitarbeiterInnen die Unternehmensleitung auf, einen „Beschäftigungsplan“ zu entwickeln, durch den der „Standort Elmshorn“ erhalten bleibt. Über den Beschäftigungsplan soll nach Ostern verhandelt werden.

Die IG Metall prüft indes, ob der Steen-Aufkauf durch KGW überhaupt rechtmäßig gewesen ist. IG Metall-Sekretär Uwe Zabel: „Es kann doch nicht angehen, daß durch Westgeld finanzierte Treuhand-Betriebe im Westen Betriebe aufkaufen und Arbeitsplätze vernichten.“ Die Belegschaft hatte sich gestern offensichtlich bereits auf eine harte Auseinandersetzung vorbereitet. Viele MitarbeiterInnen hatten ihre Schlafsäcke mitgebracht, um im Betrieb zu übernachten, falls das Werk besetzt worden wäre. Kai von Appen

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