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Archiv-Artikel

Schlicht und einfach

Die Freie Akademie der Künste ehrt mit einer Ausstellung ihren langjährigen Präsidenten: den Architekten Godber Nissen, der dieses Jahr 100 geworden wäre. In Eppendorf steht die von ihm gebaute Augenklinik des UKE. Ein Besuch

Eine Architektur, die Bescheidenheit einfordert: Nissens Bauten können als Beispiel gelten

Von MAXIMILIAN PROBST

„Schön find’ ich das nicht“, sagt die vorbeirauschende Krankenschwester und meint ausnahmsweise nicht das Betriebsklima, den Stress. Sondern das Gebäude: die Augenklinik des UKE, 1969 erbaut von Godber Nissen (1906-1997), Architekt und lange Präsident der Freien Akademie der Künste in Hamburg. „Dieses Braun und dieses Grün, und diese nackten Wände.“ Unheimlich sei es geradezu, wenn sie abends hier herumlaufe.

Was also ist aus Nissens Konzept des „Freundlichen Krankenhauses“ geworden, aus seinem Bemühen, den Eindruck einer „Krankenhausmaschine“ zu mildern, „mit liebenswürdig-entgegenkommenden Formen die kalte Abstraktheit konstruktivistischer Logik zu ergänzen“? Leere Worte, wo die Realität wie immer anders aussieht?

Oder verstellt uns die Zeit den Blick? „Viele Bauten sehen in den ersten vierzehn Tagen ihres Lebens bestechend schön aus. Im nächsten Frühling haben sie beträchtlich von ihrer Frische verloren. Nach fünf Jahren sind sie nicht mehr wiederzuerkennen.“ Nissens Worte. Womit er die mangelnde Gründlichkeit seiner Zunft anprangern wollte, nahm er – Ironie der Geschichte – das Schicksal seiner eigenen Bauten vorweg: Gefeiert, verworfen, vergessen. Nicht selten sogar abgerissen, seit sie unter das Pauschalurteil fallen: Bausünde der Nachkriegsmoderne, billiges Material und kein Design.

Zu unrecht, wie die Ausstellung „Ein Virtuose der Einfachheit – Der Architekt Godber Nissen“ in der Freien Akademie der Künste uns lehren kann. Denn Nissens Bauten haben einen künstlerischen und gesellschaftspolitischen Gehalt, an den zu erinnern gerade heute wichtig erscheint.

Seine Architektur ist der archetypische Ausdruck eines Gestaltens, das sich egalitärer und basisdemokratischer Ziele verschrieben hat: Nicht um das Außerordentliche und dessen Orte – Museen, Konzerthäuser, Firmensitze –, wie es heute auf der Agenda jedes Groß-Architekten steht, ging es Nissen. Sondern ums Alltäglich-Allgemeine: Neben Krankenhäusern baute er Schulen, Werk- und Freizeitanlagen, Wohn- und Bürohäuser.

Dieses Eingehen auf die menschlichen Grundbedürfnisse, das ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber jeglichem Elitismus verrät, prägt auch Nissens Stil: Mit einfachen Formen operierend, übersichtlich gegliedert, wirkt der bisweilen streng, stets aber schlicht und ehrlich. „Das offene Bekenntnis“, notierte Nissen, „ist uns lieber als die schöne Bemäntelung. Die Realität lieber als die Illusion.“ Statt auf Verkleidungen zurückzugreifen, stellt er die tragenden Elemente der Bauwerke und deren Materialhaftigkeit aus. Ungeschminkt und erdenschwer wirken sie. Und stehen damit quer zum heutigen Zeitgeist mit seinen luftig-leichten Spielereien.

Wie in den Boden gerammt steht die Augenklinik auf dem Gelände des UKE. Der Last des aufgetürmten roten Klinkers ringt Nissen eine flache, verglaste Eingangshalle ab. Die rückseitige Wand ist unverputzt. An den Enden der zu den Stationen führenden Gänge liegen kleine, auf den Garten hinausgehende, Besucherräume. Ein Muster, das sich in den oberen Etagen wiederholt. Sicher, es drängt sich im Haus an keiner Stelle das Wörtchen „schön“ auf. Aber Stil ist ihm nicht abzusprechen; etwas eigensinnig In-sich-Ruhendes, das durch seine Bescheidenheit wohltut. Da vergisst man seine hochfliegenden Pläne, vergisst, wozu man hergekommen ist und nickt einer Patientin freundlich zu.

Eine Architektur, die Bescheidenheit einfordert: Nissens Bauten können hier als Beispiel gelten. Von dem wir lernen sollten; gerade jetzt, in Zeiten eines entfesselten Kapitalismus, der einmal mehr die Hybris großer Gesten propagiert; jetzt, wo wir uns daran gewöhnen, dass Architektur im besten Fall ein Branding ist, ikonischen Wiedererkennungswert besitzt, „Alleinstellungsmerkmale“, wie es im Werbejargon heißt. Wozu jedem der an ein Segel erinnernde Entwurf zur Elbphilharmonie einfällt.

Wer weiß, ob wir nicht schon bald genug haben, von den Schiffen, den Segeln, den Wellen, die überall aus dem Boden schießen. Und uns nach neuer Klarheit sehnen. Bleibt zu hoffen, dass Nissens letzte Bauten dann noch stehen.

Die Ausstellung ist bis zum 25. 6 in der Freien Akademie der Künste Hamburg, Klosterwall 23 zu sehen. Eintritt: 2,50 Euro/ermäßigt 1,50 Euro