Schleunigst Frieden schließen

■ Hat die jüdische Gemeinde Addas Jisroel ein Recht darauf, als Körperschaft anerkannt zu werden? / Senat will heute über eine Berufung im Rechtsstreit entscheiden / Interview mit dem Verwaltungsjuristen...

Der Senat will heute darüber entscheiden, ob er gegen die jüdische Gemeinde Adass Jisroel in die Berufung geht. Das Verwaltungsgericht hatte im November anerkannt, daß Adass Jisroel als Körperschaft von 1885 fortbesteht. Der Senat hatte den Adassianern diese Anerkennung bislang verwehrt, die ihnen noch zum Ende der DDR vom Honeckerstaat zugesprochen worden war. Dagegen wehrt sich vor allem die größere Jüdische Gemeinde zu Berlin, die sich als Einheitsgemeinde versteht. Der renommierte Bonner Verwaltungsjurist Professor Dr. Konrad Redeker hatte als Fachgutachter vor dem Berliner Verwaltungsgericht für die Adassianer Partei ergriffen.

taz: Herr Professor Redeker, warum ist für Sie die Rechtsauffassung des Senats nicht akzeptabel?

Konrad Redeker: Im Grunde sind es zwei Überlegungen, die eine steht bei mir im Vordergrund – nicht die juristische, sondern die Überlegung, daß wir Deutsche eigentlich glücklich sein müßten, wenn Juden nach Deutschland zurückkehren und Gemeindeleben wieder aufbauen wollen. Ich habe kein Verständnis dafür, daß man eine Gemeinde, die immerhin fast hundert Jahre vorhanden war, zu der nun wieder alte Gemeindemitglieder zurückkehren, nicht anerkennen will. Das ist die politische oder religionspolitische Überlegung, ja vielleicht auch eine Wiedergutmachungsüberlegung.

Die andere ist die juristische Überlegung, daß eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts wie eine Religionsgemeinschaft nach unserem Grundgesetz nur per Gesetz aufgelöst werden könnte. Aber das ist etwas, was unser Grundgesetz eigentlich bei Religionsgemeinschaften ausschließt. Adass Jisroel war 1885 Körperschaft geworden, möglicherweise damals auch unter Schwierigkeiten, weil es eine andere größere jüdische Gemeinde gab, aber sie ist anerkannt worden, sie ist Körperschaft geworden und fällt damit unter den Grundgesetzschutz für Religionsgemeinschaften und kann eigentlich nicht untergehen. Nun kann man sagen, sie kann untergehen, wenn es niemanden mehr gibt, aber hier gibt es eben noch alte Mitglieder dieser Gemeinschaft. Und das Verwaltungsgericht hat gesagt, zwischen 1945 und 1986 sei zwar ein langer Zeitraum vergangen, aber nach dem Holocaust sei es nicht zumutbar, daß sie unbedingt früher zurückkehren mußten, um die Körperschaft wiederzubeleben.

Was, glauben Sie, muß der Senat befürchten, wenn er dieses Urteil akzeptiert?

Befürchten muß er eigentlich nichts. Ich kenne die Gründe nicht, die den Senat zu dieser Haltung veranlassen. Einzig muß er diese Körperschaft ähnlich unterstützen, wie er alle Körperschaften des Öffentlichen Rechts, die Religionsgemeinschaften sind, unterstützt. Dazu kann man Verträge abschließen, das kann man einseitig machen, aber in der Regel auf vertraglicher Basis, und so was wird der Senat mit Adass Jisroel auch abschließen müssen.

Seitens der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wird immer wieder der Vorwurf laut, Adass Jisroel könne man so nicht akzeptieren, denn das sei eine Art Familienunternehmen...

Also juristisch ist das eine sehr abwegige These, das ist eine Kampfthese. Es ist nun mal so, daß von den alten Mitgliedern von Adass Jisroel, die in alle Welt verstreut sind – soweit sie nicht ermordet wurden – der alte Herr Offenberg, der jetzige Vorsitzende der Gemeinde, einer der ganz wenigen ist, die überlebt haben, nach Berlin zurückgekehrt sind und die die Kontinuität zu der Zeit vor 1933 herstellen.

An sich kommt es nur darauf an, daß die Körperschaft da ist und jetzt Mitglieder hat, die Gemeinschaftsleben, Gemeindeleben so durchführen, wie es damals, 1885, vorgesehen war. Und soweit ich das beobachten kann, ist es ein ausgesprochen lebendiges Gemeindedasein mit sehr vielen Interessenten auch außerhalb der Gemeinde.

Welchen Rat würden Sie denn dem Senat geben, der überlegt, in die Berufung zu gehen?

Ich würde sagen, schleunigst Frieden schließen, zwischen sich und Adass Jisroel. Daraus wird sich auch sehr bald ein Frieden oder, besser gesagt, eine Zusammenarbeit zwischen der kleinen Gemeinde Adass Jisroel und der großen Jüdischen Gemeinde ergeben. Es muß doch möglich sein, daß in einer Großstadt wie Berlin auch heute zwei jüdische Gemeinden vorhanden sind, die unterschiedliche Ziele verfolgen, wie von 1885 bis zum Holocaust auch. Die einen sind liberaler eingestellt, die anderen strenger.

Kann es sein, daß Restitutionsansprüche befürchtet werden?

Der Senat hat weder etwas zu befürchten, noch entgeht ihm irgendwas.

Nun sagt der Senat, in den fünfziger Jahren habe ein Verein Adass Jisroel die Auflösung endgültig beschlossen. Ist damit nicht die Körperschaft aufgelöst?

Das hat das Verwaltungsgericht mit einem Satz beim Gerichtstermin vom Tisch gewischt, weil der Gedanke höchst abwegig ist. Das Hauptvermögen von Adass Jisroel lag immer in Ostberlin, war also nicht greifbar, und wir wissen alle, daß in den ersten dreißig Jahren der DDR die Möglichkeit, diese jüdischen Einrichtungen mit Leben zu erfüllen, nicht bestand. Nun hatten sich zwischen '49 und '54 einige Personen zusammengetan und haben sich Freunde oder Förderer von Adass Jisroel genannt, die sich '54 wieder aufgelöst hatten. Aber mit dieser Körperschaft hatten sie nie etwas zu tun.

Glauben Sie, man wird sich jetzt tatsächlich gütlich einigen?

Auf jeden Fall kann ich nur wünschen, daß man sich eine zweite Instanz erspart. Aber ich wiederhole: viel wichtiger als alle Rechtsfragen ist das, was ich eingangs sagte. Es ist für mich ziemlich unerträglich, daß man an einer Gemeinde, die es nun mal seit hundert Jahren gegeben hat, sozusagen nachträglich vollzieht, was die Nazis wollten. Indem man sie auslöscht. Das Gespräch führte

Holger Kulick in Bonn