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Schleuderkurse

■ Das JazzFest eröffnete mit Klaus König und Fred Frith

„Oh, Happy Day“ jubilierte vielstimmig der Gospel Choir aus Montreal in der zu zwei Dritteln gefüllten Philharmonie — die Eröffnung des JazzFests Berlin 92. Bloß war es leider kein Sonntagmorgen in einer schwarzen Vorortgemeinde. Der nichtchristliche Rezensent bliebt unterkühlt, freute sich, als dann Klaus König und sein Orchester auf die Bühne trat, der Chor – ohne Ministranten-Umhänge – dorthin zurückkehrte, und das „Oratorium für zwei Solostimmen, Chor und Orchester“ mit dem Hohelied Salomos endlich begann.

In seiner alttestamentarischen Form ein Lob der Liebe – denn „sie ist so stark wie der Tod“ –, fängt „The Song of The Songs“ an mit der Lobpreisung des geliebten Königs, dem Empfang Salomos durch den Chor. Dann endlich wird auch der Liebe Lob gesungen. Doch ob die Geliebte des Salomo sich mit der Solostimme Jay Claytons in einer verruchten Nachtclub-Ballade als die „Lilie der Täler“ anpreisen muß, ist wohl nicht nur eine Geschmacksfrage.

Phil Minton überraschte alle Freunde seiner sonst eher skurrilen Vokalkunst damit, daß er auch „richtig singen“ kann, und Klaus Königs Komposition erwies sich als ein Schleuderkurs zwischen europäischer und amerikanischer Klassik – mit guten solistischen Einlagen, die leider nur im vorletzten Akt Mingussche Qualitäten erreichen, wenn Lob und Preis der Liebe ihrem Schmerz weichen müssen, wenn Salomo verschwindet und die Geliebte gedemütigt wird. Der Chor wägt, er spricht, fächert sich auf zu Einzelstimmen, und das Orchester kann seine vielfältige Improvisationskraft zur Geltung bringen. Hier ging das Konzept auf, hier war wieder die Beschwingtheit der „Hommage à Douglas Adams“, die vor zwei Jahren am gleichen Ort so erfrischend erklang.

Weit weltlicher ging es bei Fred Frith und „Que d'la Gueule“ zu, die nach der Pause das zweite Konzert des Abends bestritten. Homogen und dynamisch wirkten die 13 Musiker aus Marseille und ihr Meister, der Weltbürger aus der Improv- Rock- und Performance-Szene. Mit seinem sechsmonatigen Workshop brachte er die Amateure auf den organisatorischen Standard einer Big-Band und ließ sie seine „Helter Skelter“-Suite auf Festivals zelebrieren.

Ein halbes Jahr später zum Auftritt in Berlin hat Frith mit ihnen gemeinsam ein Programm erarbeitet. Er selbst tritt nun zurück in die Reihe der Instrumentalisten und überläßt das Dirigieren den maßgeblich an den Kompositionen Beteiligten.

Die kreative Bandbreite ist jetzt größer, die solistischen Qualitäten der jungen Franzosen blitzen auf, charmant, keck und spielerisch wie bei Frith selbst, dessen Formprinzipien Deconstruction und Minimalvariation sowie Vorliebe für Folklore und Rock aller Art prägend bleiben für die Musik der Band. Augenzwinkernd unperfekt, humorvoll und verschmitzt reißen sie das Publikum zum Beifall hin oder provozieren gekonnt zu Pfiffen, wenn das Stück monoton Gleichklang atmet und dabei eine fast meditative Stimmung erreicht.

Zu mitternächtlicher Stunde am zweiten Spielort des JazzFestes, dem Delphi, erweist sich das Kölner Quartett Tome XX als der passende Ausklang. Weit entfernt vom Mainstream entwerfen die konstant miteinander arbeitenden Musiker einen eigenständigen, eher europäisch anmutenden Jazz, in dem sich Miniatur zu Miniatur gesellt und der technisch brillante Vortrag sie zu einer Suite verbindet.

Auch wenn mir zunächst die Berechenbarkeit nach den experimentellen Konzerten in der Philharmonie übergroß erscheint, besteht die Suite durchaus auch aus improvisierten Teilen. Der in rückhaltloses Träumen geratene Rezensent hielt den Schluß des Konzerts für verfrüht, ließ sich aber mit Blick auf drei weitere Tage Jazz leicht trösten. Peter Thomé

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