Schlechte Laune allerorten: Im Zweifel erst mal anschreien
Wir alle kennen Menschen, denen es noch schlechter geht als uns. Deshalb müssen wir mehr über unser Befinden sprechen.
E s gibt derzeit keine einzige Person, der es gerade gut geht, glaube ich. Und falls doch, ist sie zu höflich, es zuzugeben: Auf die Frage „Wie geht’s dir?“ hat mir schon lange niemand mehr mit „Danke, gut“ geantwortet. Zumindest nicht überzeugend. Zum Glück gibt es genug brauchbare Floskeln, die das „Ungut-Sein“ ausdrücken, aber dabei deutlich machen, dass man sich nicht tiefer erklären will. Etwas stilvoller als „muss ja“ und vielleicht sogar etwas weniger resigniert.
Wie soll es einem heutzutage schon gehen? Trauer, Angst und Schmerz sind normal. Gesundheitliche und finanzielle Sorgen obendrein. Wer klarkommt in dieser Welt, ist entweder grandios im Ausblenden der Realität oder hat den kompletten Privilegienkatalog durchgeliefert bekommen.
Oft will man nicht ins Detail gehen. Wir alle kennen Menschen, denen es noch schlechter geht. Dann sind da noch diejenigen, von deren Leid wir aus den Medien erfahren. Die eigene Traurigkeit, Alltagssorgen und Unsicherheiten wirken belanglos im Strom schlechter Nachrichten. Wir sollten trotzdem mehr über unser Befinden sprechen.
Ob Plenum, Podium oder U-Bahn: Die Pöbeleien erreichen eine ganz neue Kraft. Online ist die Stimmung noch gereizter. Im Netz trifft Wut auf Dünnhäutigkeit. Von den Insta-Kommentaren bis in den Familien-Chat: Von passiv-aggressiven Hinweisen bis hin zu offenen Anfeindungen ist alles dabei.
Besonders fällt mir das Misstrauen auf. Fast jeder Diskussion fehlt Wohlwollen. Kein Vertrauensvorschuss für niemand. Wozu nachfragen, wie eine Aussage gemeint ist? Im Zweifel erst mal anschreien. Motzen statt fragen. Anklagen statt besprechen.
Der Frust muss raus
Während meiner vielen Versuche, gemeinsam mit anderen die Welt etwas besser zu machen, wurden mir unterschiedliche Methoden vorgestellt, die alle das Ziel hatten, Machtstrukturen abzubauen und ein gutes Gesprächsumfeld zu schaffen: Sei es durch quotierte Redner*innenlisten, Redezeitbegrenzung, geschulte Moderation oder Konzepte wie gewaltfreie Kommunikation.
Der Versuch, gute Gespräche zu führen, war allen Gruppen, mit denen ich zu tun hatte, wichtig. Doch von diesen Versuchen des respektvollen Umgangs, in dem sich möglichst viele sicher fühlen, ihr Wissen beizutragen, Fragen zu stellen, ihre Meinung zu äußern und für sich einzustehen, ist kaum noch was zu merken.
In den letzten Wochen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, so oft wie möglich nachzufragen, wenn ich angepöbelt werde. Ich bekam viele Erklärungen, auch Entschuldigungen. Genannte Gründe waren sehr ähnlich.
Leute bezeichneten sich selbst als überfordert, leicht reizbar und irgendwie schnell getriggert. Der Frust muss raus, manchmal trifft es eben die Falschen.
Ich will niemanden aufrufen, sich zu beruhigen: Die Krisen und Anstrengungen, die uns so wütend wie verletzlich machen, lassen sich nicht weg-atmen. Aber könnten wir vielleicht mehr darüber sprechen, dass es uns einfach nicht gut geht? Dass wir emotional berührt und angeknackst sind?
Können wir eine Runde zusammen weinen und schreien, statt uns anzubrüllen und unseren Schmerz als politisch benennen? Vielleicht bleibt dann etwas mehr Kraft, sich den Themen und politischen Aufgaben zu widmen, die dazu beitragen, dass es uns allen wieder besser geht.
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