Schlagloch: Bücher, gut und billig
Es ist ein Skandal, die Abschaffung der Buchpreisbindung auch nur zu erwägen. Sie ist ein basisdemokratisches Element.
V or einigen Wochen begab ich mich in New York auf die Suche nach einer unabhängigen Buchhandlung. Ich orientierte mich zunächst in Richtung des Columbus Circle, wo sich einst Colliseum Books befand, ein Emporium des Geistes, dessen gelbe Plastiktüten - von denen ich einen scheinbar unendlichen Vorrat hatte - mich jahrelang zum täglichen Einkauf begleitet hatten. Zu meinem Entsetzen waren Plastikmannequins an die Stelle der Neuerscheinungen getreten, und die Vitrine war geschmückt mit kunstvoll herumgestreuten Bananen, deren künstlich grelle Farbe allein an den Vorgänger erinnerte.
Traurig, dachte ich, aber nicht tragisch. Schließlich gibt es ja noch Gotham Books, das Urgestein des New Yorker Buchhandels. Dreimal lief ich direkt an Gotham vorbei, ohne es wiederzuerkennen, und der Grund war schlicht und einfach, dass es auch Gotham Books nicht mehr gab. Auf dem Broadway kehrte ich in ein Antiquariat ein, dessen Räumlichkeiten so beengt waren, dass jeder Kunde zuerst gewogen und gemessen wurde, bevor er hereingelassen wurde. Ein junger Mann von extremer Hautblässe bestätigte, was ich schon befürchtet hatte: Ich würde in eine der dreitausend Filialen von Barnes & Noble gehen müssen. Was ist mit Gotham geschehen, fragte ich ihn? "tot, mann, einfach tot. hast du ne ahnung, was das bedeutet, das ist der weltuntergang, mann, das ist wie das ende."
Also auch in New York, dachte ich betrübt, und entsann mich jener Reise durch die größte Bücherwüste der westlichen Hemisphäre im Sommer zuvor, als mich die Einwohner kleinerer Städte in Nevada oder Utah zum Bücherkaufen in den Supermarkt geschickt hatten, wo das Titelangebot jenes an Sonnenschutzcremes oder Avocado Dips nicht übertraf, nach dem Motto: Zehn von einer Sorte reicht völlig. Und das wiederum hatte mich an eine Buchhändlerin in Duisburg erinnert, die auf mein Anliegen, ihr einige Bücher über Afrika vorstellen zu dürfen, entgegnet hatte: "afrika? nee danke, davon haben wir schon ein buch!"
Von New York flog ich, wie es der Teufel der lehrreichen Zufälle so will, direkt nach Zürich und am nächsten Morgen, als ich genüsslich die Neue Zürcher Zeitung aufschlug, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Nicht nur hatten die Eidgenossen die Buchpreisbindung quasi abgeschafft, sondern die Kommentatoren dieser und auch anderer Zeitungen waren voller Lob ob der Regierungsentscheidung. Irgendein Wirtschaftsfachmann proklamierte triumphalisch, das Kartell der Verlage sei endlich zerschlagen, und rief ein Schlaraffenland für Leser aus.
Kartell? Was für ein Kartell denn? Die Preisbindung ist ein basisdemokratisches Instrument, das den Neoliberalen ein Dorn im Auge ist, gerade weil es so gut funktioniert und weil es ein Solidaritätsnetz zwischen geistig unabhängigen, kritischen Geistern knüpft, das nicht ins Weltbild passt. Der Angriff auf die Preisbindung ist wie der Angriff auf die Wasserversorgung anderswo. Und die Argumente sind die altbekannten aus der alchemistischen Wunderkiste des Neoliberalismus: Befreite Konsumenten und entknebelte Branchenakteure führen dazu, dass die Qualität steigt und die Preise fallen. Ein verführerisches Modell, gegen das nichts einzuwenden wäre, wenn es nicht überall, so es zur Anwendung gebracht wurde, gescheitert wäre.
Makroökonomisch gesehen in all jenen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, denen es aufgezwungen wurde, und in der Buchbranche in all den Ländern, die sich auf eine Abschaffung der Buchpreisbindung eingelassen haben, zum Beispiel die Vereinigten Staaten.
Nicht nur sind die Folgen katastrophal, sie greifen auch schneller um sich als die Pest im Mittelalter: Die Zahl der Buchhandlungen nimmt rapide ab, die Zahl der Neuerscheinungen verringert sich, die Bücher werden überwiegend teurer (in den USA etwa innerhalb von nur fünf Jahren um 62 Prozent), der Zwischenbuchhandel stirbt ab und somit die Möglichkeit, Bücher zuversichtlich und schnell zu bestellen, und die großen Filialisten wachsen ins Unermessliche, bis der Markt von einigen wenigen Ketten völlig dominiert wird. Diese Entwicklung ist allgemein bekannt und hinlänglich dokumentiert - wieso also wird die Frage der Buchpreisbindung immer wieder problematisiert, seitens der EU, seitens unserer deutschsprachigen Nachbarn und sogar von einigen Eiferern bei uns? Die Antwort ist deprimierend einfach: Einerseits ist der Glaube an den freien Markt ein Dogma, andererseits bringt seine Umsetzung für einige wenige viel Reichtum - es wirkt sich in etwa so aus, als würde in Ausnahmen Bankraub legalisiert werden.
Doch betrachten wir auch die unbestritten positiven Folgen der Aufhebung der Buchpreisbindung. Die Bestseller, die populären und oft nachgefragten Titel werden tatsächlich billiger, teilweise um bis zu einem Drittel. Doch ist das wirklich positiv? Wo gibt es das sonst in unserer Wirtschaft, dass man gerade die erfolgreichsten Produkte verramscht? Wie würde ein Autohändler auf den Vorschlag reagieren, er solle den neuen Audi Quattro um 15.000 Euro heruntersetzen, weil der sich gerade so gut verkauft. Und wie wäre der Douglas-Kette begreiflich zu machen, dass sie die zehn beliebtesten Parfüms (ermittelt von der Vogue) stets mit einem Rabatt von dreißig Prozent verkaufen sollte?
Nein, in der besten aller Welten sollte genau das Gegenteil geschehen. Die Bestseller sollten teurer werden, damit das Scheinwerferlicht der Begehrlichkeit die anderen Bücher nicht zu sehr ins Schattendunkle taucht. Perfekt wäre eine Lösung folgender Art: Pro 100.000 verkaufte Exemplare steigt der Preis des Buchs um 10 Prozent. Dann könnte der Buchhändler einer unentschlossenen Kundin etwa sagen: "gnä frau, der kehlmann ist schon gut, aber der hotschnig ist beileibe nicht schlechter, und seit letzter woche kostet er ganze 10 euro weniger." Die weniger exponierten Bücher werden im Vergleich dann günstig erscheinen und reißenden Absatz finden. Das mag zwar weltfremd klingen, aber im Vergleich zur Idee, den festen Buchpreis aufzuheben, klingt er geradezu luzide.
Ich lebe seit Anfang des Jahres in einer Dachgeschosswohnung im Gutenberg-Museum in Mainz und werde durch diesen besonderen Ort gelegentlich inspiriert, mir in Erinnerung zu rufen, wie viel wir der Erfindung des Buchdrucks verdanken, aber auch einer anderen Erfindung, ohne die der Buchdruck nicht möglich gewesen wäre: das Papier. Wir nehmen die Grundlagen unserer Zivilisation oft für selbstverständlich hin, ohne uns zu vergegenwärtigen, woher sie stammen und was wir ihnen verdanken.
So ist es auch mit unserem weltweit wohl einmalig vielfältigen und effizienten Buchhandelsnetz. Ein Angriff auf dieses Netz ist nicht mehr und nicht weniger als ein Angriff auf eine visionäre Säule unserer Zivilisation. Oder - weniger pathetisch, dafür aber auf international: "dont fix something that aint broke - reparier nichts, das voll funktioniert!"
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