■ Schlagloch: Das Bindestrich-Land und die Trennstrich-Presse Von Friedrich Küppersbusch
„Das Herz des Fußballs schlägt im Ruhrgebiet“ Franz Beckenbauer,
RTL-„Champions-
League“, April 97
Wenn Konten lesen könnten, läsen sie die Frankfurter Allgemeine. Wer Konten lesen kann, vielleicht lieber die ebenfalls Frankfurter, allerdings Rundschau. Bayerns, namentlich Münchens Liberalität erklärt sich in der Süddeutschen, die Welt paßt zu Hamburg wie Helmut Schmidt zur SPD. Berlin taucht vermittels dieser Zeitung im Kreis der bundesweit beachteten Blätter auf. Und aus dem bevölkerungsreichsten, kaufkräftigsten Bundesland spricht mit vernehmlicher Stimme – tja.
Die Rheinische Post, Zeitung der Landeshauptstadt, zog sich in den 70ern per Gebietsabsprache aus dem Ruhrgebiet zurück. Sie kommentiert die Landespolitik aus der Sicht der CDU-Opposition. Der Bonner General-Anzeiger, Zeitung der Bundesstadt, schreibt am entschlossensten dort, wo es um regionalpolitische Fragen der zukünftig ehemaligen Hauptstadt geht. Der Kölner Stadt- Anzeiger, Zeitung der größten Metropole, macht gerade mit einem lesenswerten Helmut-Kohl-Interview auf sich aufmerksam. Wohl am ehesten: Die Macht am Rhein.
Nicht an der Ruhr. Hier regiert die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ). Und dies so, daß sie sich die Konkurrenz lieber selber macht: Die ehemalige SPD-Zeitung Westfälische Rundschau (WR) in Dortmund und die von Essen eher westlich orientierte Neue Ruhr/Rhein-Zeitung (NRZ) gehören zur WAZ-Gruppe. Alle drei Blätter stellen sich mit einem eher boulevardesken Auftritt vor, da kastelt und liniert es, da setzt es bunte Bilder und Servicerubriken, daß es auffällt. Zum einen konkurrieren diese Abonnementszeitungen in sparsamen Zeiten mit der Bild, die man nur nach Bedarf kaufen muß und deutlich billiger ist. Zum anderen bringen diese Blätter damit, auch wenn man es nicht geschmäcklerisch betrachtet, jedenfalls zum Ausdruck: daß ihre rein journalistischen Inhalte nur bedingt als verkaufsförderndes Argument betrachtet werden am örtlichen Markt.
Daneben Blätter, die anderswo als groß gälten, in hiesigen Relationen aber eben eher mittlere Auflagen vorweisen: Die Dortmunder Ruhr-Nachrichten (RN), christkonservativ und am engagiertesten dort, wo es um RN-Lauftreff, RN- Luftballonwettbewerb, RN-Party im Westfalenpark geht. Die Münster-, Ems- und überhaupt eher -ländischen wie ländlichen Westfälischen Nachrichten aus Münster, in Bielefeld die Westfalenpost, in Aachen die gleichnamige Volkszeitung, zwischen Wuppertal und Düsseldorf die Westdeutsche Zeitung und so fort, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Immerhin können fast alle NRW-Großstädte auf mehr als eine Zeitung verweisen. Mitunter hält sich die jeweils „große“ eine jeweils politisch andersdenkende „kleine“ – so ist der Kölner Stadt-Anzeiger mit der konservativen Kölner Rundschau verschachtelt, die kleine Münstersche Zeitung gilt inzwischen als Ableger der Ruhr-Nachrichten.
Allen Zeitungen, die es hier gibt, ist gemein, daß es sie hier alle nicht gibt. Daß man in Ochtrup und Langenfeld, Wesel oder Siegen mit Sicherheit die Süddeutsche, mit Beharrlichkeit die taz, aber nur mit erheblichen Verrenkungen große Zeitungen des eigenen Bundeslandes bekommt. Das Bindestrich-Land ist pressepolitisch ein Trennstrich-Land, aus der WAZ spricht der Bauch, aus den rheinischen Blättern der Kopf des Landes – und alle schön im Monolog, autistisch, aneinander vorbei. Eine nordrhein-westfälische Identität existiert allenfalls in Anzeigenkampagnen der Landesregierung, im Regionalprogramm des WDR und – danke, Franz Beckenbauer – im Fußball. Wobei östlich Essens niemand jubeln wird, wenn Leverkusen Meister wird. Aber da jubelt auch sonst nirgends jemand drüber. Es läßt sich mit dieser NRW-Presselandschaft leben. Anderswo verfügt ein einziges Bundesland über eine einzige Zeitung: die Saar über die Saarbrücker. Was in den 70ern den SPD-Oberbürgermeister von Saarbrücken zu schier konspirativen Versuchen trieb, eine zweite, SPD-nahe Saarzeitung aus dem Boden zu stampfen. Und ihn in den 90ern dazu verleitete, mit einem neuen Presserecht alles zu veralbern, was Journalisten an sozialdemokratischer Medienpolitik je sympathisch gewesen sein mag. Auf die Attacken dieses Lafontaine angesprochen, beteuert der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, daß er selbst auch kein großer Fan der Pressekonzentration sei, sich Zeitungen aber rechnen müßten. Und daß er inzwischen schon jeden Leserbrief abdrucke, den er kriegen könne, um wenigstens Binnenpluralismus zu veranstalten. Sei's drum – ein nationaler Titel ist auch der Monopolist von der Saar nicht.
Solange WDR, RTL und ein ganzes Rudel Kleinsender und Produktionsfirmen aus NRW senden, mag man als Nebenwiderspruch vernachlässigen, daß dies Land keine Pressestimme hat. Daß aus diesem Bundesland übrigens auch die Republik regiert wird, hat hier 40 Jahre niemanden größenwahnsinnig gemacht, eher gelassenes Selbstbewußtsein erlaubt. Noch findet sich politische Prominenz aus Bonn in Kölner Studios gern ein, zumal wer in Bonn abends ausgehen will nach zehn Minuten sowieso in Köln landet. Aber in fünf, zehn Jahren wird der Pressereferent im Berliner Ministerium am Telefon fragen: „Nach Köln? In die Provinz?“ Und recht haben. Die Sender der Kirch- Gruppe werden keinen Deut liberaler berichten, wenn ihnen NRW- Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hier den „roten Teppich ausrollt“. Aber den Grad der nahenden Verzweiflung zeigt dies Beispiel anschaulich.
München wird weiter beanspruchen, die heimliche Hauptstadt zu sein; Hamburg als „Tor zur Welt“ sich seinen internationalen Anspruch erhalten; Frankfurt bleibt Regierungssitz, solange Geld die Welt regiert, und Berlin ist wieder wer. Tja. Wir hier haben als CDU- Chef eine Gouvernante aus Rüsselsheim, der in Teilen des Landes nur als Original mit deutschen Untertiteln durchgeht: Ausgerechnet Norbert Blüm ist einziger Vertreter NRWs im Bundeskabinett. Kollegen einer hiesigen Zeitung erzählten mir kürzlich den Plan, den Titel ihres Blattes zu ändern, um sich eindeutig als „die Stimme Westdeutschlands“ zu positionieren. Jawoll. Kauf' ich.
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