piwik no script img

■ SchlaglochAlt werden mit Helmut Kohl Von Friedrich Küppersbusch

„Die junge Generation ist prima. Schließlich stammt sie von uns ab.“

Helmut Kohl, 1985

Er muß es wissen, schließlich ist er ja auch mit sich verwandt. Nächstes Jahr wird die erste Generation, die von nichts als Kohl regiert wurde, erstmals kommunal wählen dürfen in manchen Bundesländern. Zur Bundestagswahl kommen Erstwähler an die Urnen, deren Kanzler schon Kohl hieß, bevor sie sprechen lernten. Indirekt gilt dies auch für die ostdeutsche Jugend. Das possierliche Drängeln der pfälzischen Kassenbrille, das die vorangegangenen Jahrgänge zu trügerischer Unterschätzung verleitete, ist eine Lachfalte der 70er-Jahre-Generation geworden. Als es in den Radionachrichten mit der ihnen innewohnenden Selbstverständlichkeit erstmals hieß: „In Bonn erklärte heute Bundeskanzler Helmut (jeder dachte: Schmidt!, aber plötzlich hieß es:) Kohl...“, habe ich anfangs immer grinsen müssen. Das hat sich inzwischen gelegt. Im Gespräch mit der jungen Blüte unseres Landes aber ist dieses Gefühl längst unvermittelbar. Kein Mensch kann verstehen, daß man es lustig fand, wenn im Radio erwähnt wurde, daß mittags die Sonne am Himmel steht. Oder sonst irgendwas Selbstverständliches. Mit anderen Worten: Wir sind alt. Kohl hat uns alt gemacht. Nicht weniger als das.

Das ZDF-Sommerurlaubs-Interview suchte diesen Sonntag Joschka Fischer heim beziehungsweise auswärts, jedenfalls: Toscana. Wohlwollend, aber einsilbig zu persönlichen Fragen, wortreich und mit kontrollierter Offensive zu politischen Themen gab der haltbarste Grüne Auskunft. Ob die Grünen ähnlich zusammenbrächen ohne Fischer wie die PDS ohne Gysi? Nein. Sagt Fischer. Weil er nämlich nicht gehen werde. Vielleicht war der Rest der Antwort mit dem rituellen Lob für die tolle Personaldecke und die kollektive Führung hinterhältigerweise abgeschnitten worden. Vor einigen Jahren noch wäre Fischer auch nur für den Anschein einer selbstbewußten Entgegnung parteiintern filetiert worden. Dann wieder lobt er die heilsame Wirkung des toscanischen Olivenöles. Und, natürlich, den dortigen Wein.

„Wein?“ fragt der ZDF-Mann. Und erzielt das einzige „Ähh...“ Fischers im kompletten Gespräch: „... nun, ich trinke Mineralwasser.“ Mit Verlaub, Herr Präsident – das hatte schon was von der Poplegende, die auf ihrem ansehnlichen Landsitz empfängt, geläutert auf die wilden Drogenjahre zurückblickt und mit einem bemerkenswert jugendlichen Auftritt imponiert. Im Anschluß lief auf Bayern III ein Porträt von Tom Petty. Mit Interviews der Bellheim-Kapelle Travelling Wilburys. Joschka Fischer = Bob Dylan? Cohn-Bendit = Ringo Starr? I drove all night. Daß man kurz vor 50 wesentlich fitter wirken kann als mit Mitte 20 und viel präziser Wichtiges von Unwichtigem zu trennen vermag, ist tröstlich. Wer dieses Trostes bedarf, ist über 30. Der Fischer joggt zehn Kilometer am Tag? Ich rauche. Daß ich schon meine jüngere Schwester mit dieser altersweisen Argumentationskette nicht zu einer Wahlentscheidung werde agitieren können, ist mir klar.

Zum Machtwechsel gehört nicht nur, daß er der Mehrheit nötig erscheint. Sondern auch: möglich. Die Wahlsiege der Kohl-Ära schienen stets im nachhinein jeweils so sicher wie das obligate 2:1 für Deutschland in der 91. Minute. Natürlich dürfen wir von der jüngeren Generation erwarten, daß sie, wenn sie nun endlich einzieht, zuerst mal das Loch im Dach stopft, durch das es seit 15 Jahren reinregnet. Ebenso natürlich werden manche sagen, daß es dort Zeit ihres Lebens reingeregnet hat und das ja wohl so was von normal ist. Schließlich stammen sie von uns ab. Der Kohlschen Selbstverständlichkeit kommt zur Zeit eher Lafontaine als Schröder gleich: Laß die andern sich kloppen, ich konzentriere mich darauf, zu sein, was ich bin. Tony Blair, der lachende Brite, ging noch einen Schritt weiter und stellte sich als wahrer Erbe Thatchers zur Wahl, hat den Wechsel als Bewahrung verkauft.

Das Genöle über den Ungeist der jeweils nächstjüngeren Jahrgänge muß völlig berechtigt sein – schließlich fängt es schon auf dem Schulhof an: Jeder Schülersprecher weiß, daß außer ihm alle Bravo lesen und für die Weltrevolution verloren sind. Auch die Schülerdemonstrationen während des Golfkriegs 91 sind leicht zu enttarnen: Hausaufgaben der 68er – Sozialkundelehrer, die es noch mal wissen wollten. Allerdings – ob wir den Nato-Doppelbeschluß und die Feinheiten der Atomgesetzgebung so ganz diskurssicher durchgearbeitet hatten, bevor wir in die Bonner Hofaue pilgerten, wage ich nicht zu behaupten. Es scheint mir auch im nachhinein ein Bürgerrecht, daß man gegen den nuklearen Overkill antreten darf, ohne diesbezüglich promoviert zu haben. Die Love Parade als offensive Selbstmordparty abzuledern ist billig. „Wer zweimal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment!“ schwärmt die Altsackfraktion von den bewegten Kommunentagen. Und verhält sich damit zu den Rave-Umzügen wie Rita Süssmuth zu Tic Tac Toe.

„Das Lebensgefühl der jüngeren Generation“, schallt das Mantra aus den Mündern von Viva- Machern, Focus-Redakteuren und Jungliberalen. Daß die FDP in ihrer Darreichungsform als Renditesekte mehr als die nötigen 5,1 Prozent Jugendliche repräsentiert, ist nicht bewiesen. Daß Viva und Focus Erfolge sind, liegt zunächst nur daran, daß die Werbeleute diese Medien vollbuchen. Worauf diese Medien wiederum behaupten, ein Erfolg zu sein. Das könnten sie allerdings auch ohne Öffentlichkeit alleine spielen. Macht sicher Spaß. Das Lebensgefühl der jüngeren Generation besteht, wenn ich mich richtig erinnere, vor allem darin, sich auf ein solches ums Verrecken nicht festlegen zu lassen. Obacht!

Bevor man also scheitert in dem aussichtslosen Versuch, diesen quietschbunten Pudding an die Wand zu nageln, kann man seriöserweise allenfalls ein paar Rahmenbedingungen der Kohl-Generation benennen. Unter dem Kernsatz „Leistung muß sich wieder lohnen“ geboren, war Massenarbeitslosigkeit der Normalzustand. Lehrstellenmangel, Numerus- clausus-Gebolze und Konkurrenz ab der 4. Klasse die Folge. Die Großeltern wünschten, ihre Kinder „sollen es einmal besser haben“, die Eltern hatten es besser, und ihre Kinder haben das gefälligst zu demonstrieren: die Religion der Markenartikel. Mindestens der Rest ist Spekulation. Eine Wahlprognose ist das nicht.

Bei der ersten und einzigen Rave-Party meines Lebens fand ich mich binnen Sekunden an einem Tresen wieder, an dem ich mich festhalten konnte. Ich empfand mich ungefähr so passend gekleidet wie der schrullige Verbindungslehrer, der als Maskottchen auf die Oberstufenparty geladen wurde. Mit einem Blick zwischen „Die Mädchen finden mich sicher doof“ und „Was soll ich eigentlich hier?“. Dann rettete mich ein 22jähriger Kollege mit der Einschätzung, ihm gehe es hier genauso. Und der Frage, ob ich derlei Partys vor 20 Jahren nicht exakt genauso empfunden hätte. Tja. Hab' ich. Danke. Es hilft also alles nix. Das Loch im Dach muß zu, ich muß weniger rauchen, das Alter, Sie wissen ja, und die neue Fischer-CD muß ein Abräumer werden. Auf, Senioren!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen