■ Schlagloch: Die stillschweigende Privatisierung der Gene Von Christiane Grefe
„Unser gemeinsames genetisches Erbe könnte zur Verschlußsache werden“
Andrew Kimbrell:
„The Case Against
Globalization“
Mein Nachbar früher hatte mal eine Maus in der Küche. Munter verrichtete sie ihr Zerstörungswerk an Holzschubladen und herumliegenden Semmeln. Bis Robert sie erwischte. Da nahm er das zappelnde Viech mit zur riesigen Baugrube um die Ecke und ließ es frei: „Geh, knabber ein wenig an den Balken!“ Robert war nämlich entschieden gegen den emporwachsenden schwarzen Büroklotz am Isarufer, der ihm das Licht und den schönen Blick rauben würde.
20 Jahre ist das also schon her; das Europäische Patentamt hat Geburtstag. Mit Jubiliäumsausstellung. Atmende Schuhsohlen kann der Laie da bestaunen, Solarrasenmäher und OP-Tisch-Lampen. Und auf flotten Schautafeln erklären sie dir, wie Patente zwischen Gemeinwohl und Erfinderinteresse vermitteln. Der Tüftler macht kein Geheimnis mehr aus seiner Forschung, damit auf ihrer Basis andere wieder Neues entwickeln und vermarkten können – dafür erlaubt ihm der Staat, 20 Jahre lang Lizenzgebühren zu kassieren. Wie eine Schlagader pumpt das Patentamt also technische Innovationen und Gewinnerwartung in den Wirtschaftskreislauf. Allerdings müssen Daniel Düsentriebs Nachfolger tatsächlich etwas erfunden haben – für reine Entdeckungen gibt es kein Patent. Ebensowenig für Tierarten oder Pflanzensorten: da gilt das Sortenschutzrecht, das auch die biologische Vielfalt und die Autonomie des Züchters im Auge behält.
Was die Ausstellungsmacher zu erwähnen vergaßen ist allerdings, daß die Biotechnologie-Industrie diese Spielregeln gerade mit aller Macht zu unterhöhlen versucht. Schon allein für die Isolierung und Beschreibung sogar menschlicher Gene beansprucht sie Rechtsschutz. Zudem – im Effekt – für ganze Tier- und Pflanzenvarietäten. Mit dem Patent auf ein Tomaten-Frische-Gen etwa könnte die Firma Calgene auch noch potentiell 17 weitere Nutzpflanzensorten kassieren; das genetische Erbe der Menschheit würde in lauter Claims mit „Privatbesitz“-Schildern aufgeteilt. Daß die Debatte um solche „Patente am Leben“ 1992 mit der legendären „Krebs-Maus“ begann, ist nur mein privater kleiner Kalauer; warum brennt sie ausgerechnet in der Endrunde der Entscheidungen auf Sparflamme? Die Patente auf „Natur pur“ haben schließlich brisante Folgen.
So degradieren Genforscher den menschlichen Körper, indem sie einzigartige Erbanlagen zu patentierbaren „biologischen Materialien“ umwidmen, zu einem schlichten Rohstofflager. Der Fall einer Panama-Indianerin etwa – nicht der einzige – demonstriert, daß Nachkommen von Urvölkern bereits wie Wildpflanzen auf ihren Nutzwert analysiert werden. Ohne das Einverständnis der Frau einzuholen, reichten US-Wissenschaftler eine Zellinie ihres Körpers, die besondere Widerstandskraft gegen Leukämie versprach, zur Patentierung ein – als „Erfindung“. Solch fragwürdiges Verhalten wird meist damit legitimiert, der wirtschaftliche Eigennutz beflügele die Erforschung neuer medizinischer Therapien. Doch in den USA, wo Gene in Konzernhänden bereits möglich sind, lehrt die Praxis auch das Gegenteil. Nicht gefördert, sondern ausgebremst fühlen sich viele Wissenschaftler, weil sie an manche Gensequenzen nur noch gegen immens hohe Lizenzgebühren oder gar nicht mehr herankommen. Daß das Patentrecht als Waffe zur Marktabschottung instrumentalisiert werde, kritisieren folglich auch Gentechnik-Befürworter. Nur Produkte, aber nicht ganze Erbinformationen sollten patentiert werden.
Denn im Spiel bleibe sonst auch bei der Pflanzenzucht nur noch, wer über das entsprechende Kapital verfügt. Monsanto etwa hat schon manchen Konkurrenten mit begehrenswertem Patent-Besitz geschluckt. Und es rollt ein gigantischer Konzentrationsprozeß, der Monokulturen begünstigt, die Artenvielfalt reduziert und die Bauern in wachsende Abhängigkeit treibt: Patentiertes gentechnisch verändertes Saatgut werden sie nicht mehr für das kommende Jahr zurückbehalten oder an andere weitergeben dürfen. Um dies, aber auch Anbau und Pflanzenschutz zu kontrollieren, behalten sich die Konzerne – solche Verträge existieren bereits – das freie Zugangsrecht auf die Wirtschaftsflächen vor. Weil sie aber derartig viele Aufpasser gar nicht aufbringen können, werden sie immer mehr Hybride vermarkten, bei denen das Saatgut jedes Jahr neu gekauft werden muß.
Vor allem in der Dritten Welt sieht der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer daher regelrechte Bauernrevolten voraus: „Es ist nicht anzunehmen, daß sich die Regierungen und Gerichte der Staatenwelt leisten könnten, potentiell Millionen von Naturpatentrechten gegenüber ihrer Bevölkerung durchzusetzen.“ Zumal sich diese Rechte sogar auf wild vorkommende Nutz- und Heilpflanzen erstrecken sollen: „Millionen von Bauern überall auf der Welt werden am jahrhundertelang tradierten freien Gebrauch ihrer eigenen Gewächse gehindert“, kritisiert auch der amerikanische Anwalt Andrew Kimbrell.
Das Europäische Patentübereinkommen verbietet, wie gesagt, solche Macht über Natur und Kultur. Doch rund 10.000 Anträge der Gen-Ingenieure hängen auch in München in der Warteschleife. Und der „Kotau vor dem Patentrecht des Weltmarktführers“, so der Grüne Manuel Kiper, bahnt sich an: auf dem Umweg über Brüssel. Noch im Frühjahr 1995 erteilte das Europaparlament zwar der industriefreundlichen Kommissionsrichtlinie „Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen“ eine Abfuhr. Doch zwei Jahre später ließ das gleiche Parlament nach einem raffiniert inszenierten Trommelfeuer der Biotech-Lobby einen kaum veränderten Entwurf passieren. Ausschlaggebend waren Standortsorgen, wie sie auch der Bundesjustizminister in seiner Jubliäumsrede in München ausdrückte: Erst der hier erteilte Rechtsschutz, so Schmidt- Jortzig, mache „aus Visionen konkrete Arbeitsplätze“.
In wenigen Wochen befindet der EU-Ministerrat über die Richtlinie. Doch während die Öffentlichkeit um die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel lautstark kämpfte, wird die Inbesitznahme der Natur fast nur im engeren Zirkel der Juristen und Fachausschüsse verhandelt. Zu weit weg, zu abstrakt, zu komplex?
Die meisten Industriegesellschaftsbewohner verstünden kaum die elementare Angewiesenheit des Menschen auf Natur, schreibt der Berliner Philosoph Gernot Böhme – daher halte man sich „an die Anblicke“. Vielleicht auch deshalb ist das Münchner Imax-Kino direkt neben dem Patentamt meist ausverkauft. Dort kann man sich jetzt im Film „Amazonas“ das Märchen vom Indio erzählen lassen, der im unberührten Urwald dem absichtslosen weißen Forscher das Wissen um geheimnisvolle Pflanzen erklärt. Bald tempi passati – aber volle Breitwand, volles Musikpathos, Helicopterperspektive. Zum Reinziehen.
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