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■ SchlaglochAlle Macht den Konsumenten Von Friedrich Küppersbusch

„Wir haben Fehler

gemacht.“ Daimler-Chef

Schrempp, Dezember 1997

Ach was. Zwischen Carl Benz' Motordreirad und der neuen S- Klasse dürften ein paar Millionen Fehler liegen, und jeder hat sich gelohnt. Auch Mercedes hat noch keine neue Modellreihe präsentiert und dabei eingeräumt, die sei auch nicht besser als die alte. Im Gegenteil: Gurt, Airbag oder Knautschzone sind das Geständnis, vorher gefährlichere Autos verkauft zu haben. Kat, Abgasrückführung oder Lärmminderung beweisen, daß man ehedem noch schlimmere Ferkelfuhrwerke schuf. Die ganze Existenz jeder Industrie hängt davon ab, daß das nächste Produkt besser wird. Die Fahrwerksprobleme der A-Klasse beruhen auf sehr gewöhnlichen Fehlern, nicht der Rede wert, erst recht nicht der ganzseitigen Anzeigen in 180 deutschen Zeitungen. Schrempp und die Seinen haben ganz anders versagt: Sie machten die Mutter aller Fehler. Sie haben sich erwischen lassen.

Ein Jahr zuvor war Daimler das egal. Schrempp führte den Stuttgarter Konzern in eine alberne und verlustreiche Schlacht um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Außer den notorischen Hooligans von Arbeitgeber- und Industrieverbänden wollte das niemand so recht. Gewerkschaftsprotest wurde mit sturschädeliger Arroganz ignoriert. Am Ende stand keine großformatige Entschuldigung bei den Massen, sondern der rücksichtslose Durchmarsch, die Lohnfortzahlung kippte.

Drollig: Gerade noch hatte man der Öffentlichkeit demonstrativ den ganz harten Hund bzw. Hundt vorgemacht. Da plötzlich kotaut dasselbe Unternehmen vor der gleichen Öffentlichkeit, daß man sich beinahe beim Mitleid erwischt. Und der Beispiele sind viele: Ford läßt von sich behaupten: „Die tun was.“ Opel gibt an: „Wir haben verstanden.“ IBM beansprucht, „Lösungen für einen kleinen Planeten“ feilzuhalten. Und so fort. Kurz: Wo der Bürger – früher: Prolet – eben noch mit Fußtritt zum Hinterausgang in den Arbeitsmarkt gefeuert wurde, wird er – eine Runde ums Haus – am Vordereingang mit demütigem Diener wieder empfangen: als Kunde.

Zauselige Proteste gegen das Ausflaggen, gegen Lohndumping auf hoher See waren der deutschen Fischfangflotte wurst respektive Fischstäbchen. Aber als Klaus Bednarz die Nematode aus dem Hering porkelte, herrschte schlagartig Aufruhr. Apartheid-Proteste ging dem Burenregime solange am Kreuz vorbei, wie der europäische Verbraucher dumm genug war, südafrikanische Äpfel halt unter falschem Label zu mampfen. Tarifbruch und Jobverluste haben die chemische Industrie nicht ansatzweise so berührt, wie sich Shell dann von Greenpeace mit falschen Zahlen über eine Ölbohrinsel vorführen ließ. Seit Jahren prozessiert die Gewerkschaft gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen in den Schlecker-Drogeriemärkten. Aber erst Mehlwürmer im Regal einer Berliner Vorortfiliale waren Sat.1 zwei Schwerpunktsendungen wert. Proletarier aller Länder, vergegenwärtigt euch: Draußen stehen sechs Millionen, die euren Job haben wollen. Aber sechs Millionen Reservekunden hat kein Unternehmer in der Hinterhand.

Vielleicht ist es in diesem Licht an der Zeit, das Gegrübel dranzugeben, warum der Franzose ob seiner Arbeitslosigkeit protestiert, der Deutsche aber sich allenfalls offensiv schämt: Neben Gemütsunterschieden muß sich längst vermittelt haben, daß wenigstens der deutschen Wirtschaft der Kunde König ist, absolutistisch und basta. Den nimmt man ernst, dem gibt man Spaß, der hat was zu sagen, den hört man an.

Das klingt wenig tröstlich. Die Gewerkschaften organisieren die Massen nach exakt jenem Kriterium, das sie ohnmächtig macht: Mitmachen darf zuvörderst, wer Arbeit hat und also erpreßbar ist. Heraus kommt eine Politik des „Bündnis für Arbeit“, also der Bündnisse gegen Arbeitslose: Die Belegschaft arbeitet unter Tarif, damit sie ihre Jobs nicht an Arbeitslose verliert. Die Arbeitszeitverkürzung hat, je nach Lesart, Rationalisierung aufgefangen oder erzwungen. Gaben die Bosse gestern zu, daß die 35-Stunden-Woche Jobs schaffe, räumt die IG Metall heute ein, das sei wohl doch nicht so gewesen. Empirisch bewiesen ist nur, daß wir bei kürzerer Arbeitszeit weniger Beschäftigung bekommen haben. Das muß kein Zusammenhang sein. Ein Argument für die DGB-Politik ist es aber auch nicht. Unterm Strich zwingt die Arbeitslosigkeit die Gewerkschaften zu einer Politik, die sich ohne Drohmittel durchsetzen läßt. Weil sie keine mehr haben.

Wo hingegen die Masse heute Macht hat, da ahnt sie es nicht mal. Der Arbeiter zuckt, droht der Chef, die Produktion ins Ausland zu verlegen. Drohte dagegen Schrempp, seine rollenden Apotheken jetzt in Niedriglohnländern anzubieten, lachte der Kunde mit Recht und zuletzt und also am besten. Die Verbrauchermacht in Deutschland ist gänzlich unorganisiert, ungestüm, manipulierbar. Griff sie eben noch ökologisch beherzt zur guten alten Milchflasche, glaubt sie plötzlich wieder, Tetrapack sei irgendwie clever. Wollte sie am Ölpreisschock der siebziger Jahre Sprit sparen, läßt sie sich noch Ende der Neunziger erzählen, der Dreiliterwagen liege in der Schublade, und dort liege er gut.

Es mutet in der Tat naiv an, den bulligen Stahlarbeiter, der mit schweißnasser Stirn Brammen auf die B1 wirft, daß der Stau bis Bonn reicht, ablösen zu wollen durch Muttis zaghaften Verzicht auf Schildkrötensuppe. Aber noch naiver wäre, zu übersehen, daß Mutti die Mehrheit der Stahlarbeiter bereits jetzt überlebt hat. Organisierte Verbrauchermacht ist durch und durch traditionslos. Aber nichts hindert einen daran, Brent Spar und den Elchtest zu vergleichen mit den Maschinenstürmen vor 150 Jahren: Aufgehalten haben sie nichts, und gerade deshalb führten sie schnurstracks zur Gewerkschaftsgründung.

Dem DGB müßte es in seinem derzeitigen Zustand von Herzen egal sein können, ob man seine Rückzugsgefechte bitter belacht: „Schulte für Arbeitspflicht von Sozialhilfeempfängern.“ Oder ob man ihn wegen eines verzweifelt anmutenden Manövers verspotten würde: der Gründung einer Verbrauchergewerkschaft nämlich. Einer Gewerkschaft also, deren Mitglieder kein Unternehmer feuern kann. Einer Gewerkschaft, die sogar mit den Brieftaschen von Arbeitslosen, Rentnern, Sozialhilfeempfängern, die – ungeheuerlich – sogar mit der gesammelten Kaufkraft der Nichtdeutschen im Lande drohen könnte. Komme er mir nicht mit dem Einwand, der Verbraucher werde keinen Mitgliedsbeitrag bezahlen. Dann gäbe es keinen ADAC. Und sage keiner, offizielle Boykottaufrufe seien diskriminierend: Brent Spar funktionierte sogar ohne. Und verhebe sich niemand mit dem Vorwurf, hier würden die Werktätigen vergessen: Im Lohnfortzahlungsstreit wurde Daimler erst wieder gemütlicher, als die Sache ernsthaft aufs Image schlug. Übrigens tauschte Schrempp um die Zeit seine alte, postmodern-kantige Brille gegen eine neue, runde. Begründung: Imagewechsel. Also los! Alle Räder stehen still, wenn den Ramsch keiner mehr will.

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