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■ SchlaglochDer Untergang der deutschen Sprache Von Klaus Kreimeier

„Das Deutsche ist namenlos unpopulär, das steht fest, und ein deutscher Schriftsteller zu sein ein großes Malheur, ein nie aufzuholender Nachteil.“

Thomas Mann

Mit Ernst Jünger beerdigte Rolf Hochhuth, so trauerte er öffentlich, das letzte deutschsprachige Mitglied im Club der Weltliteratur. Möglicherweise hoffte er auf Widerspruch, doch niemand tat ihm den Gefallen, darauf hinzuweisen, daß er selbst, Deutschlands größter Leitartikel-Dramatiker aller Zeiten, ja noch am Leben sei. Kaum von der letzten Ruhestätte Jüngers heimgekehrt, holte Hochhuth im Spiegel zu einem bewegenden Klagegesang über den Untergang der deutschen Sprache aus. Allerdings fiel ihm kein bedeutenderer Gegner als Helmut Kohl ein, der zweifellos für die den Goethe- Instituten verordnete Hungerkur mitverantwortlich zu machen ist, für sich selbst jedoch in Anspruch nehmen darf, mit ziemlicher Gewißheit als letzter deutscher Kanzler in die Geschichte einzugehen, der ausschließlich Deutsch und niemals etwas anderes als Deutsch gesprochen hat – und das noch in der pfälzischen Version!

Doch wo Hochhuth, zumal wenn er sich auf Thomas Mann beruft, recht hat, hat er nun mal recht: Um unsere Sprache steht es nicht besonders gut. Im Ausland will sie nicht nur niemand hören (geschweige denn lernen) – vielfach ist auch inzwischen ganz und gar unbekannt, daß in Deutschland nicht irgendein angelsächsisches Kauderwelsch, sondern tatsächlich Deutsch gesprochen wird. Schon etwas südlich der Sahara kann es dem Reisenden, wie mir vor einigen Jahren in Ghana, passieren, daß er von durchaus kenntnisreichen Leuten erstaunt gemustert wird, wenn er ihnen erklärt, daß die Deutschen über ein eigenes idiomatisches System verfügen. Gebildete Afrikaner haben Hegel, Marx, womöglich gar Niklas Luhmann gelesen – aber in der englischen Übersetzung.

Keine Frage, die Zeiten, in denen der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff im Leipziger Reichstagsbrandprozeß Hermann Göring mit den Worten zusammenstauchte, er, Dimitroff, spreche die Sprache Goethes und Heines besser als alle Nazis zusammengenommen, sind vorbei. Auch die bulgarischen Hoffnungsträger von heute hängen am PC und buchstabieren das Digital-Pidgin von Microsoft. Goethe freilich (bei diesem Thema kommt man nicht ganz an ihm vorbei) ist an der heute eingetretenen Misere nicht unschuldig: Der Begriff „Weltliteratur“, den Hochhuth für den Großpoeten Jünger in Beschlag nimmt, wurde ja von ihm geprägt. Mit anderen Worten: Goethe hat, zumindest für den literarischen Überbau, die ganze unselige Debatte um die Globalisierung angezettelt; jetzt haben wir den Salat und müssen der entsetzlichen Tatsache ins Auge blicken, daß wir in jeder Beziehung, vor allem aber in sprachlicher, zum Schlußlicht geworden sind.

Nun muß zur Ehre unseres Olympiers gesagt werden, daß er nicht nur, neben Hebräisch, Griechisch und Latein, die zu seiner Zeit modernen Sprachen beherrschte, sondern sich auch mit Sanskrit und Persisch abgeplagt hat, um die Sprachkunstwerke vergangener und gegenwärtiger Kulturen zu verstehen. Kein Kunststück: Er schrieb noch mit dem Federkiel und verfügte ausreichend über jene „Muße“, die es in den Rechtschreibkorrekturprogrammen von Windows 95, Word 7.0 nicht mehr gibt. Goethe hatte Zeit genug, um die von ihm als Weltliteratur verstandene Globalisierung als polyglottes Konzert der Völker zu beschreiben – und sich selbst mit seinem „Faust“ ganz bescheiden irgendwo zwischen Aischylos, Shakespeare, Molière und Calderon zu verorten. Das ist ihm gelungen, und ganz nebenbei hat er noch die Goethe-Institute kreiert. Die Schwierigkeiten, die zwangsläufig entstehen mußten, hat heute Hilmar Hoffmann auszubaden.

Hochhuth meint, das „quellklare Deutsch“, das noch Karl Jaspers „unter Auslassung fast aller Fremdwörter“ (!) geschrieben hat, müsse mit einigen Anstrengungen doch aufs neue zu beleben und mit etwas Geld in der restlichen Welt in Umlauf zu bringen sein. Die Deutschen, so schlägt er vor, sollten die finanzielle Macht, über die sie ja allem Gejammer zum Trotz noch gebieten, für den Sieg des (deutschen) Geistes einsetzen und, so wörtlich, „nach dem Abbau der Arbeitslosigkeit den Gebrauch des Deutschen in den internationalen Gremien erkämpfen“. Mit anderen Worten: Hochhuth appelliert ausgerechnet an den gründlich havarierten und derzeit wahrlich mit anderen Sorgen beladenen Kanzler, den Gebrauch unserer Sprache in der Welt mindestens zu verdoppeln, nachdem er nicht einmal die Halbierung der Arbeitslosenzahl geschafft hat.

Sicher, etwas mehr als hundert Millionen Menschen in der Welt sprechen noch immer die Sprache, auf der bei uns mehr schlecht als recht herumgekaut wird. Aber dieses Volks hat selbst keinen Sinn mehr für das, was da über seine Zunge rollt. Vor allem die Journalisten (auch dieser Zeitung) verraten täglich, was in der Ära Heines und Börnes noch ihr Heiligtum war. Heute lesen wir in Hochglanzprodukten wie dem „Multimedia- Magazin“ der Süddeutschen Zeitung Sätze wie diesen: „Das Gerät besticht durch seine Kompaktheit, dem geringen Gewicht, dem sehr gefälligen Design und der völlig problemlosen Bedienung...“ usw. usf. Der falsch angewandte Dativ hat in Deutschland gegenwärtig eine Hochkonjunktur, die nur noch mit der Popularität Gerhard Schröders zu vergleichen ist. Ich nenne dieses Ungetüm den „Dativ der grammatischen Hilflosigkeit“. Unsicherheiten in der Grammatik, also in der Struktur der Rede, aber verweisen auf eine grundlegende Schwäche gegenüber den Anforderungen, die die Welt an das sprechende oder schreibende Individuum stellt.

Betrachten wir die Sache nüchtern: Irgend etwas muß zwischen Goethes Tod und dem Niedergang der deutschen Sprache im Zeitalter Helmut Kohls geschehen sein. Den Pfälzer können wir vergessen; mit der Kürzung des Goethe-Etats fährt er nur noch weiter herunter, was ohnehin schon im Eimer ist. Nicht Kohl und Kinkel, sondern schon Hitler hat mit seiner Volk- ohne-Raum-Politik, die in der Praxis zur klaustrophobischen Abschottungspolitik geriet, unsere Sprache zum bürokratischen Dorfdialekt verhunzt.

Gleichzeitig aber bauten die Briten ihr Kolonialreich zum Commonwealth aus; und nicht nur sie, auch Franzosen, Spanier und Portugiesen haben den anderen Kontinenten nicht nur ihre koloniale Blutspur, sondern auch ihre Kultur, ihren Esprit, ihre Sprache eingraviert.

Nachträglich ist nichts dagegen einzuwenden, daß der Kolonialtraum der Deutschen schon 1918 ausgeträumt war. Es hat keinen Sinn, die stets verspäteten Deutschen in der Ära des Internet-Pidgin in eine postkolonialistische Sprachoffensive hineinzuhetzen, wie es Hochhuth versucht. Pflegen wir unsere Sprache, soweit wir sie noch beherrschen. Aber die Sprache von morgen, die wir schon heute sprechen, ist die des elektronischen Commonwealth.

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