■ Schlagloch: Lob des Schweigens Von Friedrich Küppersbusch
„Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich weiß auch nichts.“ Regierungssprecher Dieter Vogel 1991 vor der Bundespressekonferenz.
„Ich weiß alles.“ Regierungssprecher Otto Hauser 1998 vor der Bundespressekonferenz.
Das dezente Braungraugrün seiner rather britischen Tweedsakkos verschmilzt und verläuft in der Erinnerung mit der Maserung der notorischen Rio-Palisanderwand der Stirnseite des Konferenzsaals. Vermutlich ist beides im Hirn vieler Betrachter auf ein und dem gleichen Chip gespeichert. Ohne die schwarzbraun gemaserte Holztapete hinterm Kopf, vermutete Dieter Vogel einmal, würde ihn eh keiner mehr erkennen. Von 1972 bis 1988 hatte er sieben deutschen Wirtschaftsministern mehr aus dem Herzen gesprochen als nach dem Munde geredet. Entdeckt als FAZ-Wirtschaftsjournalist von Karl Schiller, überstand er kapriziöse Kunden wie Helmut Schmidt oder Martin Bangemann. Obwohl von Sozis installiert, galt seine besondere Loyalität dem Grafen Lambsdorff, oder umgekehrt, oder jedenfalls: Bei Reden und Texten Lambsdorffs mochte Vogel schmunzeln: „Das könnte von mir sein.“ Ohne in einer der beiden möglichen Auslegungen dieses Satzes die Unwahrheit zu sagen.
Dieter Vogel also wußte, daß und wann er nichts wußte. Das unterschied ihn wesentlich von der Partei seines Vertrauens, in der Karriere macht, wer unerschrocken auch dort fortfährt, wohin ihm sein eigenes Gehirn nicht mehr zu folgen wagt. Jedenfalls litt Vogel unter Bange-, ging unter Hauss- und vermied so Möllemann. War als SPD-Erbe trotz FDP-Nähe unter der neuen CDU-Regierung zunächst nicht bestgelitten. Diether Stolze von der Zeit sollte namens und auf Rechnung Kohls weltmännische Offenheit demonstrieren. Und wurde abgelöst.
Aber dann: Peter Boenisch! „Pepe“! Kommt von Bild! Kann schreiben! Muß aber reden! Hat keine Ahnung! Fliegt wieder raus! Und aus! Sein Nachfolger Friedhelm Ost schafft dann wieder Sätze mit mehr als drei Worten, vermag aber seine ZDF-Moderatoren-Popularität nicht für den Kanzler umzumünzen. Oder jedenfalls nicht so sehr, wie der es offenbar erwartet hatte. Auch Hellmuth Becker von der Zeit gastierte im Amte. Dann noch Johnny Klein, dem zu Ehren der Job vorübergehend auf den Rang eines Bundesministers hochgedopt wurde. Und unter ihm, als Stellvertreter vor allem in Wirtschaftsfragen, lief sich ein alter Bekannter warm. Nach der 90er Wahl setzte Kohl Dieter Vogel als neuen Regierungssprecher durch; im Range eines Staatssekretärs, als Chef auch des Bundespresse- und Informationsamtes.
Ausgerechnet dem ordoliberalen FDP-Sympathisanten Vogel kam dann die Aufgabe zu, das erbärmliche Geeiere der Kohl-Regierungen in Steuerfragen souverän, cool, unter Hintanstellung eigener klügerer Einsicht zu vertreten. Einmal nur sah der Schwanz sich genötigt, mit dem Hund zu wackeln: Als Martin Bangemann in freier Rede weitläufig vom Kurs der Bundesregierung abgaloppierte, wedelte Vogel neben ihm unerschrocken mit dem Manuskript und ließ die erheiterte Kollegenschar wissen, es gelte „das geschriebene, nicht das gesprochene Wort“.
So brachte Dieter Vogel das Amt des Regierungssprechers zum bisher letzten Mal zu würdiger Geltung. Das heißt nicht, vergessen machen zu wollen, daß der Sprecher die Politik durchs Sprechen allein nicht verbessern kann. Als der Kanzler 1992 einen eher regional bedeutsamen Parteitag der Berliner CDU einem Beileidsbesuch bei den Brandopfern von Mölln vorzog, flappste Vogel auf beharrliches Nachfragen der Bonner JournalistInnen: „Die schlimme Sache wird nicht besser dadurch, daß wir in einen Beileidstourismus ausbrechen.“ Man legt sich besonders heftig stets da auf die Nase, wo man sich des Weges nicht sicher ist. Vogel hatte kein Problem damit, den Ausrutscher zu bedauern. Kohl schon.
Gleichviel. Sechs deutsche Kanzler verschlissen zwanzig Regierungssprecher. Das trägt dem dieser Tage vielzitierten Wissen Rechnung, daß man für die Botschaft gern den Boten haftbar macht. Nur einige bewahrten ihrem Namen guten Klang: wie Felix Eckart unter Adenauer, Conrad Ahlers unter Brandt, Klaus Bölling „neben“ – ist man versucht, den Politiker im Sprecher anzuerkennen – Helmut Schmidt und eben Vogel unter, eher neben, vielleicht zeitweise trotz Helmut Kohl.
Der jüngere, dem er Platz machte, war Peter Hausmann. Beflissen schmeichelte Bild am Sonntag zur Amtseinführung; „Kohls neuer spielt Beatles-Hits“. Als dicker großer Junge mit einem viel zu kleinen Höfner-Baß umhängend will ich dies Foto in meinem Herzen bewahren; mehr ist schon heute kaum mehr erinnerlich. Dann kommt die nervöse Spätphase der Kohl-Ära, und ausgetauscht wird der Sprecher, der nichts sagt, gegen den, der besser nichts gesagt hätte. Daß dem Kanzler eine Personalentscheidung praktisch schon auf dem Präsentierteller zerdeppert wird, ist die eigentliche Nachricht. Dummes Zeug reden, mal zuviel ungeschminkte Gesinnung rausrutschen lassen. Das kann – siehe oben – überleben, wer nicht in eine solch traurige Lage reingefeuert wird. So aber machte sich Otto zum Kaspar unter den Hausers; schon bestreiten FDP und Schäuble-Flügel die hochwohlgeborene Abkunft des Findlings, der kaum mehr als Stottern kann. Daß die Bild am Sonntag mit ihrem trutzigen Oppositionsgeist den Ex- Springer-Kollegen hinrichtet, deutet auf eine bemerkenswert kurze Amtszeit. Maximal September.
Mir persönlich erscheint der Journalist und der Sprecher eine Paarung wie die zwischen Fuchs und Hase, Schlange und Kaninchen, eben: wie Freßfeinde in freier Wildbahn. Viele bestreiten dies, die einflußreichste Journalistengewerkschaft DJV besteht daraus, diesen ihren inneren Widerspruch konsequent zu verdrängen. Fälle wie Boenisch, Ost, Becker, Stolze – die in ihrem angestammten Medium brillierten, auf der anderen Seite des Schreibtischs allerdings scheitern – scheinen das zu belegen: Entweder du bist Journalist, willst was rauskriegen und dabei keine Rücksicht nehmen. Oder du bist Sprecher, mußt Rücksicht nehmen, andere mitunter am Rauskriegen hindern.
Leider sind da Leute wie Vogel. Oder Bölling, der vom TV-Moderator über den Regierungssprecher bis hin zum Diplomaten, zum ständigen Vertreter in Ost-Berlin brillierte. Vielleicht aber auch hat diese Gewissenfrage mit der Amtsführung eines Regierungssprechers wenig zu tun. Und wir lesen eher kalendarisch ab: In großen politischen Phasen liefen die Sprecher zu großer Form auf. Bölling im Deutschen Herbst; Vogel während der Vereinigung. Was für eine beschissene Zeit hat Hauser erwischt. Was für einen verzweifelten Kanzler. Sein selbstgewählter Großvater wußte doch schon, daß das schiefgehen mußte. Konrad Adenauer 1949 über das neugeschaffene Amt des Regierungssprechers: „Ich wollt' einen demokratischen Goebbels. Aber dat gibt es wohl nit.“
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