■ Schlagloch: Der Durchmarsch des Machbaren
Von Friedrich Küppersbusch
Ein Bundesland hat er schon rhetorisch tapeziert, gern mit festlich schimmerndem Raufasel. Seinem Nachfolger Clement fällt hier gerade alles auf die Füße, was nicht mit höchstens zwei Bibelsprüchen zu managen war: unzeitgemäß geschnittene Landesbehörden, machtgewohnte Kommunalfürstentümer, Verkehrsinfarkt und die stets anfällige Schulbürokratie.
Nun wird Johannes Rau, der schon in Nordrhein-Westfalen recht präsidial regierte, dies langjährige Training mit einem Kurzeinsatz als Bundespräsident krönen. Jedenfalls sollte ihm keine doppelte Amtszeit wünschen, wer seinen jovialen Einlassungen über ein besinnliches Leben ohne Politik Glauben schenkt.
Raus „Versöhnen statt spalten“ ließe sich mit „Lieber weiterregieren als eine Meinung haben“ übersetzen. Sein lauer Hombach-Wahlkampf um das Kanzleramt ließ Willy Brandt damals resignieren, doch „Streiterei ist mit mir nicht zu machen“, trotzte Rau.
Der Bundespräsident, diese republikanische Notwehr gegen Monarchie und Hindenbürgerei, muß das auch gar nicht wollen. Gustav Heinemann liebte seine Frau statt des Vaterlandes und trank Bier aus der Pulle; das war plakativ und sozialdemokratisch. Richard von Weizsäcker markierte mit der 1985er Rede zur „Befreiung“ Deutschlands den linken Wendepunkt der Union. Roman Herzog nahm mit seiner wenig beachteten außenpolitischen Rede den ersten Krampfeinsatz vorweg: „Deutsche Interessen in aller Welt“ und „notfalls auch militärisch durchsetzen“ fügte sich ihm geschmeidig in einen Absatz.
Rau fällt es nun zu, als oberster Feldgeistlicher ins Amt zu eilen; Herzog hat Glück und wird der Fahne auf dem Sarg eines gefallenen deutschen Soldaten nicht mehr salutieren müssen.
Der sozialdemokratische Kandidat ist nach Geschlecht, Alter und politischen Vorstrafen die denkbar konservativste Lösung. Das ist die amtierende Bundesregierung auch, und so fügt sich das. Definiert man das Amt dagegen als das eines autonomen Jokers der Tagespolitik – von Weizsäcker und Heinemann versuchten dies –, dann schwanen einem verschenkte Jahre vor uns. Und wo verschenkte Jahre zu beklagen sind, sind die Grünen nicht fern.
Gerade sind sie mit allenthalben als ausreichend gewürdigter Mehrheit aus der Friedensbewegung ausgetreten. Nach Atomausstieg, Ämtertrennung, Rotation und überhaupt „alternativem“ Politikverständnis das letzte Erbstück, das man versilbern konnte. Natürlich hört man nun wieder die Betrachtung, daß der schwärend vergiftete Fuß amputiert werden mußte, um den Körper zu retten. Die Grünen aber schießen sich eine Kugel in den Kopf und freuen sich, so den Fuß gerettet zu haben. Der hüpft am Sonntag in den Reichstag und wählt Rau zum Bundespräsidenten.
Es bleibt späteren Generationen vorbehalten, zu beurteilen, ob hinterm Komma genug dafür eingetauscht wurde: Ein EU-Kommissariat soll dabei herausspringen. Da hat sich die Bewegung ja gelohnt.
Historisches Verdienst der Grünen bleibt, die anderen bewegt zu haben. Daß Kohl sich Wallmann als Umweltminister holte, dankte sich der Glaubwürdigkeit, die Tschernobyl den Grünen gab. Daß plötzlich keine Partei mehr ohne Umweltargumente auftrat, ist grünen Wahlerfolgen geschuldet. Frauenquoten finden sich in jeweils abgestuften Dosen inzwischen bei Sozialdemokraten und Union.
Die ehemalige Friedensbewegung trug standesgemäß einen komplett unsichtbaren Sieg davon; es hat ein nukleares Armageddon als Krönung des Kalten Krieges nicht gegeben. Ohne Friedensbewegung hätte es das auch nicht gegeben, läßt sich dagegen anführen; und beweisen kann man beides nicht. Der Erfolg des 80er-Jahre-Pazifismus liegt in der millionenfachen Verweigerung eines Krieges, den man vielleicht gerade deshalb gar nicht erst erwog. Vielleicht.
So ist das mit dem Opponieren: Man schreibt sich einen ruhmlosen Lebenslauf. Man macht und tut, kämpft und unterliegt und ist am Ende nur die Summe dessen, was man alles nicht geworden ist. Johannes Rau zum Beispiel hätte politisch etwas bewegt, wenn er 1994 auf seine Kandidatur zum Bundespräsidenten verzichtet und so die FDP gezwungen hätte, mit den Sozialdemokraten die eigene Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher zu wählen. Das hätte Kohls Abgang beschleunigt.
Regieren dagegen bedeutet handeln; und Fehlermachen ist eine Spielart von „machen“, und darauf kommt es an. Joseph Fischer wollte einen Grünen-Parteitag von der derzeit gängigen CDU-Meinung überzeugen, und einen Farbbeutel und sechs Bodyguards später sah er dabei auch noch wie ein Märtyrer aus. Ein zweitklassiges Fernsehdrehbuch hätte sich den Werfer im Fummel nicht plumpsdümmer ausdenken können; es muß ein Rock durch Deutschland gehen.
Es wäre fairer vom Schicksal, auch dem Außenminister mehr Chancen zu geben, seinen Standpunkt und sein Handeln zu überdenken. Aber natürlich kommt so eine Flachpfeife vorbei und wirft Beutelchen, und schon tut Fischer einem leid. Und er bringt eine Argumentation durch, die Selbstverteidigungsminister Scharping vorgelegt hat. Greuel aus dem Kosovo als unmenschliche Schutzschilde gegen diese verdammten Selbstzweifel. Dem Durchmarsch des Machbaren stehen keine attraktiven Alternativen gegenüber. Es rührt ja immerhin, die Grünen sagen zu hören: „Wir haben keine Alternativen.“ Na ja, ihr seid ja auch keine. Jutta Ditfurth kidnappte vor der Bielefelder Halle ein paar O-Ton-hungrige Kameras und bestätigte sich ihre Voraussicht, daß dies eine Kriegspartei geworden sei. Was sie dann da will, erklärte sie – jedenfalls im gesendeten Teil des Statements – nicht.
Der Anblick einer Partei, die entweder auf einen Fischer reduziert ist oder gar nicht mehr mitmachen darf, ist der schlimmste Beitrag zum Politikverdruß seit Beginn der Diätendebatte, mindestens. Daß der Bürger jedenfalls dann am Parlamentarismus teilnehmen darf, wenn er vorher seine abweichende Meinung ablegt, ist ein possierliches Signal.
Nun ist gesunde Härte gefordert. Es war ein historisches Fenster, durch das die Grünen in die politische Realität sprangen: Die Vorleistungen der 68er-Generation, die überkochende Rüstung in Europa, die lange vordrängende Frauenbewegung. Auch die „Bewahrung der Schöpfung“, von den christlichen Parteien zur Adoption freigegeben. Auch die knochenharte Organisationspraxis, wie sie in K-Gruppen gesammelt worden war. Je genauer man sich diese verschiedenen, vielschichtigen Wurzeln, Quellen und Umstände der Parteiwerdung anschaut, desto eher muß man einsehen, daß solche Chance so schnell nicht wiederkommt.
Das ist traurig, aber nun ist es auch mal gut mit dem Betrauern, und nun kann man sich gelassen einreihen bei denen, die auf ein neues Fenster lauern. Das mag feig sein oder bequem: sich in permanenter Opposition die Finger nicht schmutzig zu machen.
Andererseits sind schmutzige Hände und ein hübscher Dienstwagen noch kein Beweis, richtig gehandelt zu haben. Oder wie Johannes Rau sagen würde beziehungsweise wird: Führe mich nicht in Versuchung.
Es gibt keine Alternative, so die Grünen. Sie sind auch keine
Wo verschenkte Jahre zu beklagen sind, sind die Grünen nah
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