: Schlag von Insektenflügeln
■ Kaija Saariaho in der Serie »Klangportraits« im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek
»Das Wesentliche befindet sich außerhalb der Reichweite bewußten Denkens allein — in der Musik wie im Leben«, schreibt die finnische Komponistin Kaija Saariaho, die am Mittwoch im Otto-Braun-Saal gastierte. Es klingt wie ein Motto, an dem sich sowohl die Komponistin wie die Zuhörerinnen orientieren können, klingt wie ein Indikativ, der Grundlage ihrer Kompositionen ist und klingt wie eine gebrochene Lanze für das Gefühl, denn »die Musik , die wir schreiben, ist Summe unserer Wahrnehmungen und unserer Erfahrungen«. Als Inspirationsquellen greift die in Paris lebende Komponistin, deren Arbeiten am Mittwoch im Otto-Braun-Saal vorgestellt wurden, zwar auf Gedichte wie in der Komposition L'aconisme de l'aile oder auf die Transparenz der Farben auf Bildern von Impressionisten wie in Nymphea zurück, die Umsetzung in Musik ist jedoch ein intellektueller Prozeß, bei dem die Klangvielfalt unseres Alltags einbezogen wird.
Die Komposition Petals, Blätter, für Violoncello und Live-Elektronik, ist ein Beispiel für das Überlagern vieler verschiedener Geräusche und Töne. Es entsteht der Eindruck, man stünde auf einer stark befahrenen Kreuzung, Kreisverkehr aufgrund der quadrophonen Beschallung. Autos fahren vorbei, aus dem offenen Fenster eines angrenzenden Hauses hört man in ruhigeren Momenten Bruchstücke eines Cellospiels, die Abluftschächte einer Galvanisierfabrik pfeifen, es wird gebremst und angefahren. Autos, die von links kommen, fahren rechts vorbei, ein Hubschrauber bleibt über der Kreuzung stehen. Das ganze Geräuschszenario ist ein Ausschnitt. Es fängt leise an und wird am Ende wieder langsam ausgeblendet.
Das Zusammenwirken von vielen Geräuschen, die gleichwertig nebeneinander stehen, das kompositorische Verarbeiten von Klängen, die normalerweise als Abfallprodukte unseres Lebens gelten müssen, und die Herstellung von bewußt gewählten Artikulationen und Tönen ist eine Grundlage der Arbeit von Kaija Saariaho. »Eine der wichtigsten Fragen für mich ist: Wie erhalte ich eine Musik, die ständig Material anbietet, das es ermöglicht, beide Arten des Hörens — die analytisch/intellektuelle und die emotionale, tiefe, manchmal transzendentale musikalische Erfahrung — aufrechtzuerhalten?« schreibt sie. Die Komponistin, die in Helsinki, Freiburg und Paris, am Zentrum für Computermusik und akustische Forschung, ICRAM, studiert hat, benutzt selbst erstellte Computermusikprogramme als Hilfsmittel für die Kompositionen. Die Komposition Stilleben ist ein Beispiel für die Konsequenz, mit der Kaija Saariaho die neuen Technologien einsetzt, nicht nur zur Herstellung einer Partitur, sondern auch, um die Individualität der InterpretInnen und die Hör- und Sehgewohnheiten der ZuschauerInnen herauszufordern.
Stilleben ist ein reines Tonbandstück. Wir sitzen im Otto-Braun-Saal und hören den Lautsprechern zu. Allerdings ist „zuhören“ dabei das falsche Wort, da die ZuhörerInnen die Maschine nicht beeinflussen können. Nicht zuhören, sondern anhören, wie anbeten, weil keine Wechselwirkung zwischen den Spielenden und Hörenden mehr stattfindet. Ausgangsmaterial für das Stück sind die abgebrochenen Musikfetzen bei Proben, sind Auszüge aus Briefen Kafkas an Milena, sind Liebesgedichte von Paul Eluard. DIe Wahrnehmung und Umsetzung des Gehörten in einen Text ist subjektiv: Notenblätter werden umgedreht, überlagert von einem riesigen, schweren Würfel, der quadrophon im Kreis geworfen wird und fällt, durchbrochen von reinen Glockentönen, übertönt von verstärktem Schreibmaschinengeräusch, das übergeht in die Wiederholung des Wortes »Menschen«, das übergeht in einen hohen Ton, der am Ende nur noch als Zischlaut, als Esceha, ausläuft, überläuft in ein noch unentzifferbares Tonszenario, aus dem sich langsam das Wort »vivre« herausschält, fast überfahren wird von einen überdimensionierten Lastwagen und und.
Durch den Computer werden Bilder in die Musik gebracht. Beim Komponieren kenne sie den Ausgangspunkt und den Endpunkt. Manchmal habe sie auch eine Struktur, beispielsweise eine geometrische Figur als Grundlage. Bei der Entwicklung der Komposition benutzt sie den Computer, um sich Material für die rhythmische und melodische Metamorphose auszurechnen. Daß ihre Musik nicht dominiert wird, durch den Computer, sondern daß durch ihre Arbeit viel eher auch die geheiligte Kultstätte Staatsbibliothek kritisch hinterfragt wird, zeigt sich an dem Cembalo- und Tonbandstück Jardin Secret II, bei dem der Cembalospieler gegen die Elektronik anspielt. Dabei wird die Individualität des Interpreten mit einem fiktiven Außenraum überlagert. Die Klangqualität des Außenraums arbeitet mit Zisch- und Kehllauten: gurgeln, sirren, surren, rauschen, hauchen, hecheln, aber auch der vielfach verstärkte Schlag von Insektenflügeln vielleicht kommen darin vor. Der Cembalospieler bearbeitet sein sonores Instrument zum vorgegebenen Rhythmus eines abfahrenden Zuges und anderer Geräusch- oder Stimmaschinen. Durch die Geräuschkulisse konfrontiert die Komponistin auch die ZuhörerInnen mit ihrem verordneten Zwang, leise zu sein. Warum eigentlich darf nicht gehustet und gesprochen werden oder aufgestanden und mit Türen geschlagen? Ist das vorgegebene Verhaltensmuster ein so viel strengeres als das der Musik? Waltraud Schwab
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