Schlägerei vor Gericht: Gewalt durch und gegen die Polizei
Prozessbeginn um eine Massenrandale in Hamburg-Neuwiedenthal. Ein prügelnder Polizist bekommt als Reaktion einen Schlag ins Gesicht und erleidet einen mehrfachen Schädelbruch. Angeklagter bestreitet die Tat.
Es war ein politisches Geschenk an den damaligen Hamburger Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) zur Innenministerkonferenz in Hamburg, wo über schärfere Bestrafungen bei Gewalt gegen Polizisten diskutiert werden sollte. In den frühen Abendstunden des 26. Juni dieses Jahres kam es im Stadtteil Neuwiedenthal im Verlauf eines Polizeieinsatzes zu einer Massenschlägerei, bei dem der Polizist Günter J. mehrere Schädelbrüche an der linken Augenhöhle erlitten hat.
Die Anklage wirft Amor S. und Avni A. "gefährliche Körperverletzung" vor. S. soll bei einer Auseinandersetzung den Polizisten Günter J. mit dem Fuß und voller Wucht direkt ins Gesicht getreten haben. Er habe damit die Festnahme seines Bruders Ahmed vereiteln wollen, der am Boden liegend laut gerufen habe: "Hilfe, Hilfe, der erwürgt mich".
Avni A. soll parallel einen anderen Beamten, der auf Ahmed S. kniete, in den Rücken gesprungen sein. A. gibt vor Gericht an, bei diesem Vorfall gar nicht zugegen gewesen zu sein, da er zuvor Pfefferspray ins Gesicht bekommen habe.
Fünf Polizisten sind bei einer Schlägerei im Juni in Hamburg-Neuwiedenthal verletzt worden, einer davon schwer.
Wild gepinkelt: Die Polizisten J. und H. sehen am S-Bahnhof einen Mann, der in einen Busch pinkelt.
Sexuell beleidigt: Er zeigt nach Angaben von J. sein Glied - einige Jugendliche stehen in der Nähe. Die Beamten fühlen sich beleidigt.
Vielleicht anwesend: Polizist H. sagte aus, er habe auch eine Frau mit Kindern gesehen - J. nicht.
Versuchte Flucht: J. und H. wollen die Personalien des Wildpinklers aufnehmen, dieser versucht zu fliehen. Sie halten ihn fest.
Viele Hiebe: Als dieser am Boden liegt, haut J. mehrfach mit dem Schlagstock auf ihn ein.
Große Schlägerei: Andere junge Leute kommen hinzu und schimpfen. Die Polizei schickt Verstärkung. Es fliegen Flaschen - eine Schlägerei entsteht. Die beiden Angeklagten sollen daran beteiligt gewesen sein.
Da Amor S. gehört hatte, dass er ins Visier der Fahnder geraten war, weil ein Polizist glaubt, ihn als Angreifer erkannt zu haben, stellte sich der 32-Jährige mit seinem Anwalt Uwe Maeffert zwei Tage nach der Schlägerei der Polizei. "Da er", wie Maeffert sagt, "unschuldig ist." Dennoch steht er mit Avni A. (24) seit Mittwoch vor Gericht.
"Es hat von hohen Politikern dieser Stadt eine direkte Einflussnahme stattgefunden", beklagt S.' Anwalt Maeffert und nennt namentlich Ahlhaus. Auf Weisung von oben habe die Mordkommission gegen Amor S. wegen "versuchten Totschlags" ermittelt. Dabei hätten ein Ermittler der Mordkommission sowie der Staatsanwalt Günter Stauder, der in Juristenkreisen als "scharfer Hund" gilt, einen Tötungsvorsatz gleich zu Anfang ausgeschlossen.
Stauder habe beim Erlass des Haftbefehls versprochen, sofort einen Antrag auf Haftverschonung zu stellen, sobald der Polizist J. das Krankenhaus verlasse, sagt Maeffert. Doch dann sei Stauder von dem Fall abgezogen worden. Der neue Ankläger fühlte sich nicht mehr an das Versprechen gebunden, so dass S. seither in Untersuchungshaft sitzt.
"Es gilt den ganzen Polizeieinsatz zu beleuchten - auch die Polizeigewalt", fordert Maeffert. Doch das ist zur Zeit nicht ganz einfach, da der Polizist J. die Aussage zu dem Vorgang, der die Massenrandale ausgelöst hat, verweigert. "Dann müsste ich mich selbst einer Straftat bezichtigen", sagte er am Mittwoch vor Gericht.
Er und sein Kollege H. hätten auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum am Denkmal einen Mann überprüfen wollen, der gerade in ein Beet urinierte. Zuvor wollen sie aus dem Peterwagen heraus gesehen haben, wie dieser Mann an seiner Hose fummelte und sein Glied herausholte, um es Herumstehenden zu zeigen. "Es hat auf mich den Eindruck gemacht, als wolle er sagen. ,Kommt mal her, ihr könnt mir den Schwanz lutschen", sagt J.
Dann kommt ein Szenenriss, den das Gericht am Morgen durch die Begutachtung eines Youtube-Privat-Videos füllte. Es zeigt den Polizisten J. wie er den Mann am Beet zu Boden reißt, auf ihm kniet und dann mehrmals mit dem Stahlschlagstock auf ihn einhaut. Anwohner reagieren aufgebracht und gehen verbal den Polizisten an. "Du hast ihn geschlagen", "der liegt doch am Boden und ist außer Gefecht." Andere riefen: "Bullenschweine! Ihr seid Faschisten" oder "Polizeiterror."
Mittendrin sieht man immer wieder Amor S., wie er schlichtend eingreift, sich schützend vor Günter J. stellt und die bis zu 50 Anwohner zurückdrängt - selbst seinen Bruder Ahmed wegschickt.
Erst als massive Verstärkung der Polizei aus anderen Revieren anrückt, bekommt die Ordnungsmacht die Lage selbst unter Kontrolle. Der Urinierer vom Beet wird in den Streifenwagen gebracht. Danach versiegt das Filmmaterial, doch bei den Vorfällen, bei denen er verletzt wurde, ist Polizist J. wieder zur Aussage bereit.
Er habe gesehen, dass zwei Kollegen mit einer Person Probleme gehabt hätten und einen lautstarken Disput führten. Er habe dann die Person "von hinter angegangen" und zu Boden gebracht. "Dann spürte ich nur einen dumpfen Schlag", sagt J. "Wenig später spürte ich, dass die linken Seite des Gesichts taub geworden ist", sagt J. Später sei ihm dann schwindelig geworden, so dass er sich nicht mehr auf den Beinen habe halten können. Im Krankenhaus stellte man mehrere Schädelbrüche fest. Der Prozess ist auf 20 Tage angesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr