Schlachten-Diorama: Von der Kunst, sich im Kreis zu drehen

Zwei Künstlerinnen suchten das riesige Gemälde-Diorama, das einst im Hauptquartier der Roten Armee in Wünsdorf stand. Aus ihren Recherchen entstand ein Kunstwerk, das im Museum Karlshorst gezeigt wird.

Erinnerung an blutige Tage: das Diorama 1993 in Wünsdorf Bild: Museum Karlshorst

Vinamin Sibirsky ist Maler, Schlachtenmaler, um genau zu sein. Vor mehr als drei Jahrzehnten hat er ein wirklich riesiges Bild gemalt, ein Diorama. Besser gesagt: das wichtigste Diorama der russischen Erinnerungskultur. "Die Schlacht um den Reichstag" heißt das Gemälde-Panorama. Es zeigt, wie die Rote Armee 1945 den Berliner Reichstag stürmt. Sibirskys Diorama ist 36 Meter lang und 7 Meter hoch, die bemalte Leinwand damit 252 Quadratmeter groß und mehr als 1 Tonne schwer. Bis zum Abzug der russischen Soldaten im Jahr 1994 war es in deren Hauptquartier im brandenburgischen Wünsdorf ausgestellt, 60 Kilometer südlich von Berlin. Einen runden Bau - eine Rotunde - hatten die Sowjets extra dafür errichtet. Zusammen mit den Soldaten verschwand es. Niemand wusste, wohin. Und der Bau stand leer.

Ein Diorama (griechisch, "ich sehe hindurch") ist eine inszenierte Schaubühne, die in einem Rundbogen bemalt ist, vor der reale Gegenstände installiert sind. Aus dem entsprechenden Blickwinkel entsteht so der Eindruck eines dreidimensionalen Bildes. Filmkulissen wurden nach ähnlichem Muster eingesetzt. Diese Ausdrucksform erfreut sich bis heute in Russland und China großen Beliebtheit.

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches 1945 im Offizierskasino der sowjetischen Militäradministration in Karlshorst wurde auf Wunsch Moskaus ein Museum an diesem Ort eingerichtet. Die Installation "Lost Panorama. Wünsdorf - Berlin - Moskau" von Ulrike Mohr und Susanne Weck wird im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst noch bis zum 4. November gezeigt.

Gut zehn Jahre später begeben sich die Künstlerinnen Ulrike Mohr (36) und Susanne Weck (28) auf Spurensuche. Beide stammen aus Süddeutschland, sie haben an der Kunsthochschule Weißensee studiert. Mehr als vier Jahre recherchieren die beiden Frauen. Dass sie das Diorama tatsächlich finden, haben sie nicht gehofft. "Wir wollten Geschichte zurückholen. Das Diorama war verschwunden, damit war auch das öffentliche Bewusstsein für dieses Stück Kunst verloren", sagt Weck.

Die Thematik des leeren Raums, der ausradierten Geschichte habe sie fasziniert, erzählt Ulrike Mohr. Sie hat einen dunklen Schal um ihre Schultern geworfen, der sich von ihren kurzen, blonden Haaren unterscheidet. "Wir wollten suchen, was fehlt. Die Leerstelle, die es gab, wieder besetzen", ergänzt Susanne Weck. Sie trägt ihre Haare so, wie es in der Hauptstadt gerade en vogue ist: Pony, an den Seiten kürzer ein bisschen eckig.

Weck und Mohr wirken noch immer wie zwei Studentinnen; nicht gesetzt oder nur in ihrer Kunst verhaftet. Ihren Lebensunterhalt können sie mittlerweile von ihren Projekten bestreiten, reich macht sie die Kunst nicht. Doch wer will schon satt sein? Wer will schon ankommen? Die zwei Berlinerinnen jedenfalls nicht. Nicht einmal finden wollten sie das Bild: "Eigentlich wollten wir keine Sieger sein", sagt Ulrike Mohr.

Zufall und viel Glück

2003 brechen sie trotzdem auf nach Russland. Erst nach Moskau, durch Zufall und Glück finden sie Vinamin Sibirsky. Die Suche geht besser voran als erwartet. Schließlich landen sie weiter westwärts im Städtchen Schukow. Die Stadt ist nach dem siegreichen Feldmarschall der Schlacht um Berlin benannt. Dort entdecken sie das riesige Stück Kunst - in einen kleinen Museum, das sich ebenfalls mit dem Krieg beschäftigt.

Zurück nach Berlin konnten sie das Diorama nicht bringen, das wollten sie auch gar nicht. Stattdessen haben sie zwei Rundtheater, in denen das Gemälde hing oder heute zu sehen ist, im Maßstab 1:6 aus Holz nach- und im Museum Karlshorst aufgebaut. In einem der beiden Bauten sieht der Zuschauer die Leere der Rotunde von Wünsdorf, dem Ort, an dem das Bild fast 20 Jahre stand. Der andere Holzbau zeigt eine filmische Dokumentation der Spurensuche in Russland. "Wir wollten einen Film über das Scheitern und über das Vergessen machen", erklärt Mohr. "Die ganze Reise dauerte zehn Tage - von denen wir sogar drei Tage im Zug saßen -, bis wir das Kunstwerk aufgestöbert hatten", erinnert sich ihre Kollegin Susanne Weck. Wie sie auf diese Idee kamen? "Keine Ahnung". Was sie getrieben hat? "Wir mussten einfach danach forschen", murmeln beide.

Anfang September 2007 steht Viniamin Sibirsky, der Schlachtenmaler, in einem dieser Rundbauten im Museum Karlshorst. Seine wachen Augen schauen umher, dann murmelt er: "Der Zuschauer muss sich fühlen, als sei er selbst mitten in der Schlacht". An diesem Tag sind alle drei in Karlshorst versammelt - diesem Ort vergangener Schlachten. Eine unerwartete Zusammenkunft: der Maler, geboren vor 71 Jahren in Orenburg an der Wolga, fast 1.500 Kilometer von Moskau entfernt, und die zwei Installationskünstlerinnen, die nicht einmal die Sprache des alten Mannes sprechen.

Eine Heldentat

"Das ist eine Heldentat", sagt Sibirsky. Man merkt ihm nun die Aufregung an. Er streicht sich durch seinen ergrauten Vollbart, federnd schreitet er den hölzernen Nachbau des Rundtheaters ab, schaut dann wieder gebannt auf die Leinwand, die eine Geschichte dokumentiert - die Geschichte eines Bildes. Seines Bildes. Er ist vergnügt und beeindruckt zugleich. Diese zwei jungen Frauen aus Deutschland haben einen Raum gefüllt - nicht nur einen Raum im Deutsch-Russischen Museum, sondern auch einen Raum des Vergessens, einen Raum der Geschichte und deren Deutung.

"Heldinnen" nennt er die beiden Künstlerinnen. Wenn Sibirsky etwas sagt, lächeln die beiden gerührt. Was die drei heute hier zusammengeführt hat, ist vielleicht ebenfalls nur zu begreifen, wenn man wie vor einem Diorama Abstand nimmt und die Kunst zunächst auf sich wirken lässt. Sibirskys Kunst wird nun ihrerseits zum Gegenstand einer neuen Kunst. Eine Wendung, die der russische Künstler wohl nicht mehr erwartet hätte. Was jetzt noch kommt, ist ungewiss. Vor der modernen Technik und dem Ende des Dioramas hat der Maler keine Angst: "Handmade wird immer geschätzt. Der Betrachter spürt, dass ein Mensch hinter der Illusion steckt. Das verbindet den Künstler mit den Menschen." Sagts, nickt den Künstlerinnen zu und steigt lächelnd die Stufen der Holzrotunde hinab. Ein Kreis hat sich geschlossen.

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