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Schirm & ChiffreBestimmt total diskurserprobt

■ Medien in Berlin: Das vierteljährliche Kulturmagazin „Auseinander“ aus Prenzlauer Berg

„Auseinander“ prangt in fetten, schwarzen Lettern auf der Titelseite. Darunter blickt einem die ausdrucks- und faltenlose Katharina Witt im Neo-Pop-art-Design entgegen. „Mag sein, daß ich flüchte, aber während der ganzen Flucht suche ich nach einer Waffe“, steht neben ihrem Mund. So weit, so verwirrend!

Ein Blick auf die Seite drei verrät jedoch, daß es sich bei Auseinander nicht um eine Zeitschrift für getrennt lebende Pärchen handelt. Nein, es geht um Pop, Politik und Kultur, beziehungsweise um deren intellektuelle Melange – und das seit Februar vierteljährlich für acht Mark. Auf der nach oben offenen „schlaues- Geschwafel-Skala“, die, sagen wir mal, bei „sympathisch vorlaut sein“ beginnt, rangiert das Editorial von Auseinander unter „komplett größenwahnsinnig“: „Wer hier schreibt, der schreibt Geschichte, egal was er schreibt“, heißt es dort.

Ernst nehmen kann man das nicht, aber witzig gemeint ist es auch nicht. Denn beim Weiterlesen folgen prompt in einem kurzen Rundumschlag die beliebtesten Stationen linker Standortbestimmungs-Diskussionen: Sommer der Liebe, Stammheim und Mauerfall. Hier schreiben Menschen, die schon ganz schön viel nachgedacht haben und bestimmt total diskurserprobt sind. Deshalb haben sie auch ein ganz besonderes Anliegen: „Kill the nation with a magazine“. Ach ja, der Kugelschreiber als tödliche Waffe!

Die verbalen Geschosse entpuppen sich auf den nächsten sechzig Seiten als Texte unterschiedlichster Länge und Qualität. Da gibt es ein präzises Interview mit Oliver Tolmein von der Jungen Welt. Da gibt es aber auch Abstürze in schwergewichtige Wortakrobatik, in denen zum Beispiel das „postmoderne westdeutsche Nachkriegstheater“ in einem Satz über acht Spalten „umrissen“ wird. Immerhin bringt Auseinander schöne Musikkritiken.

Fünf Seiten „Unterhaltungsmusik“, das sind eine Vorort-Reportage über die Berliner Band „Stereo total“ und kurze, witzige Texte zu fünf anderen Interpreten von Serge Gainsbourg bis Pizzicato Five. Über das Revival des Siebziger-Jahre-Hammondorgel- Sounds heißt es da beispielsweise: „So brachten diese Platten den Palmolive-Groove in die Wohnzimmer, einen Hauch von Ruchlosigkeit auf die Kordgarnitur und eine Ahnung von Welt in die traute Vorstadtsiedlung.“

Es ist ein verregneter Samstagnachmittag, und ich treffe mich mit zweien der Urheber von Auseinander. Urheberinnen gibt es nicht. Soviel war mir nach Studium des Impressums und der Texte schon klar. Trotzdem sei man „kein reines Herrenmagazin“, so Redakteur Sebastian Lütgert. Außerdem sei die mangelnde Präsenz von Frauen in den Medien ein allgemeines „Symptom“. Wie wahr.

Zwischen 22 und 26 Jahre alt sind die „Studenten und ein Beamter“, die im Oktober vergangenen Jahres „mal eben so“ beschlossen, eine eigene Zeitschrift herauszubringen – das Ganze bundesweit. Vergleicht man Auseinander mit anderen journalistischen Ergüssen dieser Altersgruppe, wie zum Beispiel Fanzines, wirken die Aufmachung und das Layout erstaunlich professionell. „Lust auf mehr“ soll die erste Ausgabe machen. Macht sie auch, aber dann etwas humorvoller und bitte nicht so „wichtig“, sonst ist Auseinander bald eine Vereinszeitung mehr.

Später vertilge ich mit einem Freund eine 350g-Tafel Schokolade und berichte ihm vom druckreifen Diplomarbeits-Deutsch meiner jungen Interviewpartner. Ungeklärt blieb die Frage: Ist es eine neue „Berliner Schule“, oder warum haben wir Magenschmerzen? Heike Blümner

Bezugsadresse: Auseinander Verlag, Immanuelkirchstraße 5, 10405 Berlin, Telefon: 442 0732, Preis: 8 DM

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