■ Schirm & Chiffre: Jäger des blauen Hundes
Mit dem „Namen der Rose“ hat Umberto Eco vor ein paar Jahren der Detektivgeschichte zu einer unverhofften Renaissance in der Literatur verholfen. Die kriminalistische Vorgehensweise kam dem Semiotiker als Parabel auf die logischen Operationen der Interpretation von Sprache gerade gelegen, und alle anderen hatten ihren Spaß an den Deduktionen, die schließlich zur Auflösung des Rätsels führten. Nach demselben Muster funktionieren die populären Adventure-Games auf CD-ROM, die die Interaktivität einer multimedialen Anwendung zum Anlaß nehmen, den Spieler zum Detektiv werden zu lassen. Der muß dann zuerst einmal herausfinden, worum es eigentlich geht. Erst wenn die Geschichte komplett rekonstruiert wurde, ist das Rätsel gelöst.
Kriminalgeschichten gaben allen literarischen Trends zum Trotz aber auch schon immer einen guten Rahmen für Kinderbücher ab. Eine der überzeugendsten Anwendungen auf der seit fünf Jahren in Babelsberg stattfindenden interActiva, die sich jetzt als Beobachterin des Multimedia-Mainstreams zu positionieren scheint, war dann auch „Elroy auf Ganovenjagd“. Die Geschichte handelt von Elroy und Freundin Maggie Manzini, die sich für ihr Sommerferienprojekt den Bau einer Maschine vorgenommen haben, die müden Kreaturen frische Energie einhaucht. Versuchsobjekt ist Elroys Hund Blue, der auf mysteriöse Weise verschwindet. In Wirklichkeit sind die Entführer aber womöglich hinter der Maschine her. Mit Hilfe eines Computernetzes, auf das Elroy und der Spieler zugreifen können, kann man sich Wissenswertes über die Geschichte und die Geheimsprache der Gangster aneignen. Spielerisch wird den Kids damit der Gebrauch des Internets und anderer Datenbanken vermittelt. „Elroy auf Ganovenjagd“ besitzt von allen vorgestellten CD-ROMs der fließenden Kategorie „Edutainment“ und „Games“ die angemessenste grafische Umsetzung. Die Personen und Räume sind direkt am Computer hergestellt worden und dürfen damit den Charme des Pixels für sich reklamieren: billig, aber konsequent.
Die anderen Produktionen aus der Zielgruppe Kind, wie „Schneewittchen und die sieben Hänsel“ oder „Wellen, Wracks und Wassermänner“, greifen demgegenüber auf die Ästhetik des traditionellen und damit natürlich sorgfältig gezeichneten Kinderbuches zurück. Traditionell aber auch bei „Elroy“ die Rollenaufteilung: Es sind natürlich die Jungs, die die Abenteuer bestehen, auch wenn Maggie selbstverständlich ein smartes und selbständiges Mädchen ist. Da macht dann die Herangehensweise der australischen Cyberfeministinnen VNS Matrix noch mehr Sinn, die gerade an einem Spiel arbeiten, dessen Zielgruppe Mädchen sind, die sich dann in DJanes und anderen modernen Heldinnen wiederfinden können. Man kann nur hoffen, daß Projekte wie diese sich irgendwann mal auf einer interActiva der Zukunft finden werden.
„Schneewittchen und die sieben Hänsel“ kann sich aber nicht so recht dazu durchringen, die klassischen Märchen wirklich zu dekonstruieren: Ziel ist es, den richtigen Weg durch „Schneewittchen“, „Rotkäppchen“ und „Hänsel und Gretel“ zu finden. Trotzdem kann man leicht von einem Märchen ins andere geraten. Dann offenbaren sich manchmal seltsame Alternativen. „Opera Fatal“ ist ebenfalls als Detektivspiel angelegt, in dessen Verlauf man so ziemlich alles über die europäische Musiktradition lernen muß, um irgendwann verlorengegangene Noten wiederzubekommen. Da das Spiel aber mit einer auch für Spielespezialisten nicht überblickbaren Fülle von liebevollen Details ausgestattet und nebenbei auch noch spannend ist, dürfte das eigentlich kein Hinderungsgrund sein. Ganz im Gegenteil: Am Ende greift man womöglich freiwillig zu den 7 Bänden Musiktheorie, die als Nachschlagewerk bereitstehen, um mehr über die Musik zu erfahren, die das Spiel fortwährend begleitet. Ulrich Gutmair
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