piwik no script img

■ Schily schlägt Strafgeld für Ladendiebe vorUnorthodoxe Entkriminalisierung

Die Forderung, Ladendiebe „bürokratiearm“ zu bestrafen, steht schon im rot-grünen Koalitionsvertrag. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin hat auch schon mehrfach erläutert, was das heißt. Gemeint sind „Strafgelder“, die von der Polizei – ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft – verhängt werden können. Daß Innenminister Otto Schily diese Position nun übernommen hat, ist also alles andere als überraschend. Dennoch jault die gesamte konservative Law- and-order-Maschinerie laut auf – von Bayerns Justizminister Alfred Sauter über den Deutschen Richterbund bis hin zu den Polizeigewerkschaften. Die Polizei dürfe nicht wie ein Richter tätig werden, so das erneut vorgetragene Argument.

Betrachtet man das bisherige Procedere nach einem Ladendiebstahl, ist der Bonner Vorschlag durchaus einleuchtend. Erwischt wird ein Langfinger meist vom Personal des beklauten Ladens. Dann wird er der Polizei überstellt, die den Sachverhalt überprüft und den Vorgang schließlich an die Staatsanwaltschaft weiterleitet. Dort wird das Verfahren eingestellt, bei einem Erstäter meist ohne Geldbuße, beim zweiten Mal mit Geldbuße. Von „rechtsstaatlicher Kontrolle des Ermittlungsverfahrens“ kann nicht die Rede sein. Bei den Staatsanwaltschaften werden die Fälle nach Schema F abgehandelt. Sinnvollerweise werden damit auch keine (teuren) Volljuristen beschäftigt, sondern „nur“ sogenannte Amtsanwälte, das heißt fortgebildete Rechtspfleger.

Viele Polizisten werden sich wohl eher darüber freuen, daß nun sie selbst das Geld abverlangen dürfen. Und den Akten wird ein Dienstweg erspart. Rechtsstaatlich bedenklich ist das kaum. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, kann ja das Strafgeld vor Gericht überprüfen lassen. Genauso, wie wenn man beim Falschparken erwischt wurde.

Und genau deshalb sind die Konservativen so empört. Offiziell bleibt der Ladendiebstahl zwar eine Straftat, in der Sache wird er aber kaum anders behandelt als eine Ordnungswidrigkeit. Diese „Entkriminalisierung“ von Eigentumsdelikten wird ideologisch zutiefst abgelehnt. Da aber Schily und Däubler-Gmelin formell gar keine Entkriminalisierung vorgenommen haben – Diebstahl ist nämlich weiter eine Straftat –, müssen sich nun ausgerechnet die Konservativen gegen die „verfassungswidrige Aufwertung der Polizei“ wenden und die Linken diese als sinnvolle Maßnahme zum Bürokratieabbau verteidigen. So schnell verkehren sich die Fronten, wenn ein unorthodoxer Vorschlag auf den Tisch kommt. Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen