■ Scheinheilige Dauerregierer in Nordrhein-Westfalen: Rau sprengt jeden Rahmen
Neunundzwanzig Jahre lang regiert die SPD in NRW – fünfzehn davon mit absoluter Mehrheit. Seit siebzehn Jahren bestimmt Johannes Rau als Ministerpräsident in dem knapp 18 Millionen Einwohner zählenden größten Bundesland die Richtlinien der Politik. Ein ungekrönter König, dem die Partei nicht nur wegen seiner ungebrochen Fähigkeit zur Stimmenmaximierung zu Füßen liegt. Parteiintern resultiert seine Stärke auch daraus, daß er mit den Seinen gnädig umzugehen pflegt, solange sie loyal zu ihm stehen. Immer häufiger geht diese Attitüde des gütigen Parteifreundes zu Lasten der von Rau so gern beschworenen demokratischen Politikkultur, zu der ja wohl auch gehört, daß gravierendes Fehlverhalten von Ministern nicht aus Gründen der Kumpanei schöngeredet wird. Was Rau sich in dieser Hinsicht gestern bei der Diskussion um die Balsam-Pleite, einem der größten Wirtschaftsverbrechen der Nachkriegsgeschichte, geleistet hat, sprengt jeden Rahmen.
Daß Rau seinem Justizminister Krumsiek bescheinigt, er gehe „tadelsfrei aus der Affäre hervor“, hat mit der tatsächlichen Faktenlage nichts, rein gar nichts zu tun. Das totale Versagen des Justizapparates ist schon dramatisch genug. Noch entschiedener aber gilt es den Versuch zurückzuweisen, die bewußte Irreführung des Düsseldorfer Parlaments durch Krumsiek als unbeabsichtigtes Versehen abzutun. Tatsache ist, daß Krumsiek eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Michael Vesper am 26.7.94 objektiv falsch beantwortete, als er ihm erklärte, von einer „verzögerlichen Bearbeitung“ der Balsam-Pleite könne keine Rede sein, da seinen Staatsanwälten, die eineinhalb Jahre untätig blieben, nur „pauschale Anschuldigungen“ vorgelegen hätten. Dies war eine glatte Lüge, denn seit Dezember 1992 lag den Staatsanwälten eine Anzeige vor. Als Krumsiek Vesper schriftlich antwortete, kannte er sowohl diese Anzeige als auch einen internen Polizeibericht, in dem konkrete Beweise für die kriminellen Balsam-Geschäfte aufgeführt wurden.
Daß diese bewußte Irreführung nun durch Rau als „tadelsfrei“ geadelt wurde, verrät mehr über den Düsseldorfer Regierungsstil als jede Sonntagsrede. In gewisser Hinsicht blieb Rau deshalb gestern nur konsequent. Selbst Umweltminister Matthiesen, der das Düsseldorfer Parlament im Zusammenhang mit einer Antimüllkampagne bewußt getäuscht hatte, durfte – auch zum Entsetzen einiger Genossen – im Rau-Kabinett bleiben. Ja, es ist wahr: Wer so handelt, muß die Zustimmung bei der Mehrheit des Wahlvolkes nicht fürchten, aber er sollte uns wenigstens mit Sonntagsreden zur politischen Kultur verschonen. Walter Jakobs
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