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■ ScheibengerichtGlenn Spearman Double Trio

The Field (Black Saint 120197-2)

Am Anfang seiner Karriere wurde er wie ein Aussätziger behandelt. In Musikerkreisen galt Ornette Coleman entweder als verrückt oder als Dilettant. Niemand wollte etwas mit dem Mann mit dem Plastiksaxophon zu tun haben. So mußte sich Coleman mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Er fand Beschäftigung als Liftboy, was den Vorteil hatte, daß er nebenher noch Zeit zum Üben fand. Seinen wenig frequentierten Fahrstuhl postierte er in einem ruhigen Stockwerk und vertiefte sich in Harmoniestudien.

Inzwischen hat sich die Situation völlig gewandelt. Heute ist Ornette Coleman einer der letzten Giganten des Jazz und sein Einfluß immens. Vor allem die Frühphase strahlt aus. Für Lisle Ellis (Kontrabaß), Larry Ochs (Saxophon) und Donald Robinson (Schlagzeug) dient etwa das legendäre Coleman-Trio der frühen sechziger Jahre als Inspirationsquelle. Trapezkünstlern gleich fabrizieren sie eine Musik in der Schwebe, bei der die Klänge ohne rhythmisch-harmonisches Netz durch den freien Raum der Improvisation jongliert werden.

Dazu braucht es Schlafwandlerqualitäten. Mit robustem Ton und viel Phantasie pinselt Larry Ochs in abstrakter Manier lose Melodieteile in die Luft, die sich erst durch die sparsamen Zutaten der Rhythmusgruppe zum großen Gemälde zusammenfügen.

Stärker an Ornette Colemans legendärem „Free Jazz“-Album vom Dezember 1960, das einer ganzen Stilrichtung den Namen gab, orientiert sich der amerikanische Westcoast-Saxophonist Glen Spearman. Genau am 30. Jahrestag der legendären Aufnahmesession hob er sein Double Trio aus der Taufe, das sich an Colemans Double Quartett anlehnt. Im Unterschied zu einem konventionellen Sextett agieren die beiden Binnenensembles als weitgehend autonome Einheiten und gehen des öfteren getrennte Wege, wodurch eine zweite Ebene ins Spiel kommt, die als Verstärkung oder als Kontrastmittel wirkt. Wenn die eine Dreierformation, bei der man wieder auf das „What We Live“- Ensemble von Ellis, Ochs und Robinson stößt, den Energiepegel nach oben treibt, nimmt das andere Trio entweder die Herausforderung an, indem sie „den Korken aus dem Saxophon bläst“ (Spearman), oder hält mit feingliedrigem Tonfluß dagegen, bis sich die beiden Spannungskurven im gemeinsamen Unisono des Finales treffen. Mit der Rückbindung an vorgegebene Strukturelemente versucht Spearman dem Hamsterrad der totalen Freiheit zu entkommen.

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